Beten - statt die wahren Probleme zu adressieren
Jessica Zafra erzählte in Bad Berleburg von den Philippinen und einem ziemlich bösen Mädchen
Bad Berleburg. „Verdammt, ich habe das Weihwasser vergessen“ - das sagt eine Frau, als sie mit einer Freundin deren Nichte den Teufel austreiben will. Die Nichte ist ein Baby, etwas älter als neun Monate, als Filipina im katholischen Saint Vincent‘s Catholic Medical Center Manhattan geboren, es hat einen sehr großen Kopf, kann schon fließend sprechen, heißt Guadalupe und ist Titelheldin des Romans „Ein ziemlich böses Mädchen“, das Jessica Zafra jetzt mit aufs Berleburger Literaturpflaster gebracht hatte. Dicht an dicht saßen die 40 Zuhörenden im örtlichen Hotel „Alte Schule“. Hier gestand die Schöpferin des ziemlich bösen Mädchens zunächst ein, dass sie selbst - geboren 1965 - sehr lang ein ziemlich angepasst-pragmatisches Mädchen war. Es sei immer ihr Traum gewesen, einen echten Roman zu schreiben. Aber sie habe lediglich Artikel und kleinere Geschichten verfasst, als Herausgeberin, Verlegerin und Filmproduzentin, als Radio- und Fernseh-Moderatorin gearbeitet, weil sie Miete bezahlen und Katzen ernähren musste. Bei einem runden Geburtstag vor zehn Jahren sei ihr schlagartig klar geworden, dass sie alt werde - deshalb habe sie ihr Leben geändert. Und das Ergebnis: ihr Debüt-Roman über die ziemlich böse Guada, die in Wirklichkeit nur messerscharf klug hinter die Kulissen einer scheinheilig-verlogenen, unanständig-reichen Gesellschaft schaut.
Die meiste Zeit im Roman ist Guada längst den Babywindeln entwachsen. Als Teenagerin bekommt sie mit, wie ihre Mutter von einer schlecht bezahlten Lehrerin zur schlecht behandelten Köchin in einem reichen Haushalt von Manila wird. Erbarmungslos, aber auch mit bitterböser Ironie und beißendem Witz lässt Jessica Zafra ihre Protagonistin Guada die philippinische High Society und Politik sezieren. Und dabei belässt sie es nicht. Die Schriftstellerin sucht nach den Wurzeln für das Scheitern einer Gesellschaft, die immer wieder drei Schritte in eine bessere Zukunft läuft und sofort danach zweieinhalb Schritte zurück ins Chaos macht.
In Bad Berleburg sprach Jessica Zafra von iberischen Kolonialherren, die nicht gewollt hätten, dass die Filipinos Spanisch lernten, damit die fremde Sprache keine gefährlichen Freiheitsgedanken wecken konnte. Sie sprach von katholischen Kolonialherren, die die Filipinos auf ein besseres Leben nach dem Tod vertröstet hätten. Sie sprach von amerikanischen Kolonialherren, die den Traum vom Tellerwäscher zum Millionär befördert hätten, heute aber sorgten die USA dafür, dass Reichtums-Verteilung und Herrschaftsverhältnisse auf den Philippinen festzementiert seien. Probleme würden nicht adressiert, sondern hingenommen, weiterhin würden Reiche von Armen vor allem bewundert. Die schlechte Infrastruktur und der Schutz vor immer häufigeren Naturkatastrophen würden nicht durch konstruktive Planungen verbessert, stattdessen vertrauten die Filipinos aufs Beten. Deshalb habe sie das Ende des Buches offengelassen, da müsse die Leserin, der Leser selbst aktiv werden.
Ein weiterer schlüssiger und spannender Erklärungsansatz für das ferne Land Philippinen auf dem Literaturpflaster. In den vergangenen Wochen sind bei der traditionsreichen Veranstaltungsreihe die Konturen des südostasiatischen Inselreichs mit jedem einzelnen Puzzleteil deutlicher und interessanter geworden. Und dazu gehört noch ein Satz, den Jessica Zafra in Bad Berleburg sagte: Sie habe eigentlich gar nicht viel erfinden müssen für ihren Roman, die meisten der kleinen Episoden seien ungefähr genauso passiert. Möglicherweise also auch die gescheiterte Teufelsaustreibung.
Text und Fotos: Jens Gesper











