Lesung mit Annette Hug

Berleburger Literaturpflaster führt auf die Philippinen

Zum Auftakt des 32. Berleburger Literaturpflasters kamen mehr als 40 Zuhörende ins Bildungszentrum Wittgenstein an der Berleburger Limburgstraße, um 'Eindrücke aus 150 Jahren philippinischer Literatur' zu gewinnen. (Foto: Veranstalter / Jens Gesper)

Bad Berleburg. Fürs deutsche Erste-Person-Plural-Fürwort hat das Filipino zwei Vokabeln: Wenn der Benutzer des Wortes „wir“ einen Angesprochenen miteinbezieht, dann gebraucht er einen anderen Begriff als wenn der Angesprochene ausgeschlossen ist. So illustrierte Annette Hug jetzt bei der ersten Veranstaltung des Berleburger Literaturpflasters, das in diesem Jahr auf die Philippinen führt, ein gängiges Problem für Übersetzungen in diese Sprache. Eine Schwierigkeit, die auch José Rizal gehabt habe. 1886 übertrug der künftige philippinische Nationalheld in Deutschland Friedrich Schillers Drama über den Schweizer Freiheitskämpfer ins Filipino und überführte ihn nach Südostasien.

Annette Hug schrieb darüber ihren Roman „Wilhelm Tell in Manila“, die Schweizerin hatte selbst drei Jahre lang in der philippinischen Hauptstadt studiert und gelebt. Die Autorin übersetzt auch aus dem Filipino ins Deutsche. Und obwohl die Sache mit dem „wir“ einen anderen Eindruck erweckt, so lasse ihr die Sprache einen breiten Interpretationsspielraum.

Wie schon im vergangenen Jahr hielt das Bildungszentrum Wittgenstein für die Literaturpflaster-Gäste ein ganz außergewöhnliches Ambiente fürs Essen bereit. (Foto: Veranstalter / Jens Gesper)
Ulla Belz als Teil des Organisations-Teams freute sich, dass sie drei Literaturpflastersteine als Dank überreichen konnte: den ersten für die Referentin Annette Hug, den zweiten für den BZW-Geschäftsführer Andreas Kurth, den wievielten der Apotheker Karsten Wolter (von rechts) bekam, war auf die Schnelle nicht zu ermitteln. (Foto: Veranstalter / Jens Gesper)

Ihre erste Überlegung bei einer Übersetzung laute deshalb immer: „Wer macht jetzt was in diesem Satz?“ Aber nach Bad Berleburg war Annette Hug nicht als Schriftstellerin, Übersetzerin, Manila-Kennerin oder Journalistin gekommen. Im Bildungszentrum Wittgenstein teilte sie in einem leidenschaftlichen Vortrag mit ihren über 40 Zuhörenden „Eindrücke aus 150 Jahren philippinischer Literatur“. Die Referentin hatte ganz unterschiedliche Bücher für diesen Abend eingepackt, las kleinere exemplarische Passagen daraus vor, ordnete diese regional oder zeitlich ein - und dazwischen nahm sie das Publikum immer wieder mit in diese fremde Welt, in der es laut des deutschen Wikipedias rund 170 und laut des englischen zwischen 130 und 195 Sprachen gibt. Annette Hug war in ihrer Einschätzung dichter an dem niedrigeren Wert. Insgesamt machte diese große Zahlen-Bandbreite deutlich, dass manchmal auch etwas im Ungefähren bleibt in diesem Reich von genau 7641 Inseln.

Häufige Taifune und ein Diktator

Felsenfest war Annette Hug aber davon überzeugt, dass Rizals 1887 erschienener Roman „Noli me tangere“, Pflichtlektüre an allen philippinischen High Schools, bis heute in diesem Teil der Welt prägend sei. Zwei Themen nahm sie als die derzeit wichtigsten in der philippinischen Literatur wahr: zum einen die häufigen Taifune als beständige Bedrohung durch die Natur, derzeit ist auch wieder Wirbelsturm-Saison, zum anderen die Herrschaft von Ferdinand Marcos, der 1965 und 1971 als Präsident gewählt wurde, von 1972 bis 1986 aber als Diktator das Land regierte und unterdrückte. Die beiden handfesten Themen finden sich in den kommenden Literaturpflaster-Veranstaltungen wieder. Das philippinische Gastlands-Leitmotiv „Fantasie beseelt die Luft“ bei der Frankfurter Buchmesse erhitzt übrigens momentan die Gemüter in dem in Luftlinie 10.000 Kilometer entfernten Inselreich. Die Worte stammen aus Rizals Buch „Noli me tangere“, denn im Original steht, dass die Luft mit Gespenstern, die man für Frankfurt einfach weggestrichen hat, bevölkert wird. Vielleicht wollte man uns im Westen mit Geistwesen nicht erschrecken, nicht überfordern?

Das Literaturpflaster nimmt die Gäste eben diesmal in eine ungewohnte, aber spannende Welt mit. Und diese Reise lohnt sich, auch wenn die allermeisten Wittgensteiner wohl im „kamì“ - dem ausschließenden „wir“ - verharren und das „tāyō“ - das einschließende „wir“ - nie erreichen werden.

Von Jens Gesper


WESTFALENPOST (12.09.2025)
Internet: www.wp.de/staedte/wittgenstein/
Bildquelle: Fotos (3) von Jens Gesper

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