Der Historiker schaute insbesondere auf die sinnstiftenden Erzählungen der Katalanen und der Basken, problemlos arbeitete er klare Narrative, so der Fachbegriff, heraus. Da war Katalonien, das als Nationalfeiertag den Tag seiner Kapitulation zelebriere, das sich trotz seiner romanischen Sprache weniger in der Tradition der Römer als vielmehr in der Tradition des Händlervolks der Phönizier sehe, das sich im Reigen der 17 Autonomen Regionen in Spanien nicht als Gleicher und Gleichen, sondern als Besonderer unter Gleichen sehe. Genau wie die Basken, deren Sprache zu den ganz wenigen in Europa gehöre, die nicht mit der indogermanischen Sprachenfamilie aller Nachbarn in Verbindung gebracht werden könnten, die sich selbst für das älteste Volk Europas hielten, die weiterhin von Blutreinheit sprächen und bis in die 1980er Jahre die baskischen Schädel vermaßen, um das Besondere ihrer mutmaßlichen Rasse wissenschaftlich zu ergründen.
Probleme bereite das, so der Referent, in Verbindung mit dem zweiten Artikel der spanischen Konstitution aus dem Jahr 1978, in dem steht: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier; sie anerkennt und gewährleistet das Recht auf Autonomie der Nationalitäten und Regionen, aus denen sie sich zusammensetzt, und auf die Solidarität zwischen ihnen.“
Dieser Kompromiss lässt die eine Nation und die übrigen Nationalitäten nebeneinanderstehen, ohne dass klar gesagt wird, was höher zu bewerten ist. Nach dem Ende der baskischen Untergrund-Organisation ETA und deren Terror mit über 800 Toten zwischen 1960 und 2008 und mit einer Beruhigung nach den erschreckenden Bildern vom rechtswidrigen katalanischen Unabhängigkeitsreferendum 2017 mit massiven Protesten, sah der Fachmann für den Augenblick keine Mehrheiten für die Unabhängigkeitsbestrebungen. Aber er war sich sicher, dass mancherorts weiter daran gearbeitet werde. Hinzu komme, und so fand sich Carlos Collado Seidel am Ende seines Vortrags erneut im Jahr 1492 wieder, dass die Vergangenheit als Kolonialmacht der Dreh- und Angelpunkt des spanischen Selbstverständnisses sei. Deshalb sei heute für 500 Millionen Menschen Spanisch die Muttersprache, viele sagten immer noch, dass es gut gewesen sei, dass die Ahnen angeblich Zivilisation und den christlichen Glauben in die Kolonien brachten. Hier warte auf Spanien noch ein völlig neues Feld der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
An den Vortrag schloss sich eine spannende Fragerunde an. Perspektivisch blieb Carlos Collado Seidel skeptisch, ob das Land seine Probleme mit den Unabhängigkeitsbestrebungen lösen könne, er sei Historiker, da wisse man, dass man nichts ausschließen dürfe.