Geschichten und Geschichte aus Spanien

Historiker Dr. Carlos Collado Seidel beleuchtet das Schwerpunktland des Bad Berleburger Literaturpflasters 2022

Dr. Carlos Collado Seidel erhielt nach seinem spannenden Vortrag von Christiane Biechele das übliche Geschenk für Schriftsteller und Referenten: einen Literaturpflaster-Stein. (Foto: Ev. Kirchenkreis Wittgenstein)

Wemlighausen. Geschichte und Geschichten – immer wieder ging es auf dem Bad Berleburger Literaturpflaster „Spanien“ am Montagabend um dieses Miteinander, um dieses Spannungsverhältnis. Der Historiker Dr. Carlos Collado Seidel blickte im Abenteuerdorf Wittgenstein  in Wemlighausen auf „Nation, gelebte Vergangenheit und Identitäten in Spanien heute“, so die Unterzeile der Vortrags-Überschrift, weil er eine Antwort auf die Frage „Was ist Spanien?“ geben wollte. Der Professor für Neueste Geschichte an der Marburger Philipps-Universität begann - wie wohl nicht anders zu erwarten - seinen Vortrag 1492, also in dem Jahr, als Christoph Kolumbus in Diensten des Königreichs Kastilien Amerika entdeckte.

Und trotzdem schaffte es der Experte, innerhalb einer guten Stunde in der Gegenwart anzukommen und dabei mit einer Vielzahl von Fakten, aber auch Geschichten eine Geschichte Spaniens, vielleicht sogar die Geschichte Spaniens vor zwei Dutzend Zuhörerinnen und Zuhörern zusammen zu puzzeln.

Blickt man von außen auf das flächenmäßig zweitgrößte Land mit der viertgrößten Bevölkerung in der Europäischen Union, erscheint es als Monolith auf der Iberischen Halbinsel, von der man nur ein eher kleines Stück Portugal abziehen muss. Carlos Collado Seidel zeichnete für Außenstehende jedoch ein sehr detailliertes Bild ganz unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in dem großen Spanien. Der Historiker schaute insbesondere auf die sinnstiftenden Erzählungen der Katalanen und der Basken, problemlos arbeitete er klare Narrative, so der Fachbegriff, heraus.

Da war Katalonien, das als Nationalfeiertag den Tag seiner Kapitulation zelebriere, das sich trotz seiner romanischen Sprache weniger in der Tradition der Römer als vielmehr in der Tradition des Händlervolks der Phönizier sehe, das sich im Reigen der 17 autonomen Regionen in Spanien nicht als Gleicher und Gleichen, sondern als Besonderer unter Gleichen sehe. Genau wie die Basken, deren Sprache zu den ganz wenigen in Europa gehöre, die nicht mit der indogermanischen Sprachenfamilie aller Nachbarn in Verbindung gebracht werden könnten, die sich selbst für das älteste Volk Europas hielten, die weiterhin von Blutreinheit sprächen und bis in die 1980er Jahre die baskischen Schädel vermaßen, um das Besondere ihrer mutmaßlichen Rasse wissenschaftlich zu ergründen.

"Als Historiker weiß man, dass man nichts ausschließen darf."
Dr. Carlos Collado Seidel, Referent beim Literaturpflaster

Obwohl oder vielleicht gerade weil der Vortrag so viel Kenntnis und Information transportiert hatte, schloss sich eine spannende Fragerunde an. Perspektivisch blieb Carlos Collado Seidel skeptisch, ob das Land seine Probleme mit den Unabhängigkeits-Bestrebungen lösen könne. Er sei Historiker, da wisse man, dass man nichts ausschließen dürfe. Aber für die nächsten Wochen war er beruhigt: Wenn es um die Fußball-Weltmeisterschaft gehe, dann habe er tatsächlich auch in Teilen des Landes schon spanische Flaggen gesehen, wo man die sonst nicht erwarten würde.


Siegener Zeitung (21.11.2022)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: Foto vom Ev. Kirchenkreis Wittgenstein

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