Bad Berleburg. (ahe) Am Dienstagabend lud das Bad Berleburger Literaturpflaster zu einem Künstlergespräch in die Volksbank Wittgenstein ein. Bad Berleburgs "Chef-Pflasterin" Rikarde Riedesel befragte die Schöpferin des Kurzfilms "The Pocket Man", Ana Chubinidze, und ihre Freundin und Mitarbeiterin, die Graphikerin Elene Chichashvili, zur Idee und Umsetzung ihres ersten animierten Kurzfilms.
Zuvor hatte Kerstin Lauber, Vorstandsvertreterin der Volksbank und Schirmherrin der Räumlichkeit, das Projekt sowie die beiden Künstlerinnen zweisprachig willkommen geheißen. Auch die stellvertretende Bürgermeisterin Anke Fuchs-Dreisbach fand anerkennende Worte zur Begrüßung der aus Tiflis angereisten Gäste. Auch sprach sich die Sassenhäuserin anerkennend zum 25-jährigen Bestehen des Literaturpflasters aus. Die beiden Künstlerinnen kamen direkt von der Frankfurter Buchmesse nach Bad Berleburg. Hier gaben sie am Dienstag und Mittwoch zusammen mit der Stadtjugendpflege Workshops im szenischen Umgang mit Papier und Farben (die SZ berichtete).
Die am Abend eröffnete Ausstellung zeigt einzelne Szenen aus ihrem Kurzfilm. Eine Figurine, wie sie aus einem Koffer schaut oder im Revers eines Blinden sitzt, Passanten auf der Straße, das bunte Interieur des Kofferhäusigen, Straßenzüge einer Stadt im Hellen wie im Dunklen. Alle Details sind einzeln gemalt und ausgeschnitten und werden behandelt, als seien sie reale Objekte: Da liegt ein Zauberwürfel auf dem Boden, eine Schere hängt an einem Nagel an der Wand, ein übergroßes Flashlight ist so platziert, dass es aus dem Bild nach draußen leuchten kann. Auch gläserne Schaukästen zeigen die Künstlerinnen in den einzelne Szenen stärker versetzt und dadurch plastischer, als sie auf Papier erscheinen. Das alles hat einen ungeheuren Charme, folgt einer eigenen Sprache und Logik und lädt unmittelbar dazu ein, sich auf diesen besonderen Ausschnitt einer eigenen Welt einzulassen.
Der Film "The Pocket Man" zeigt die Geschichte eines kleinen Mannes, der in einem Koffer haust. Er lernt die Welt auch außerhalb seiner Koffergrenzen kennen und bemerkt schnell, dass er aufgrund seiner Größe dabei schnell in Gefahr gerät. Eines Tages rutscht ein blinder Mann vor seiner Kofferwelt auf einer Bananenschale aus. Die beiden verständigen sich, dass es geschickt wäre, von nun an gemeinsam durch die Welt zu ziehen. Dabei entdecken sie nicht nur die Welt des anderen, sondern auch, dass gemeinsam vieles leichter geht. Das Visuelle untermalt eine erstaunlich heitere Musik, die der Erzählung zusätzlich als Motor dient. Bei dem Film werden schnell Erinnerungen an die deutschtschechische Kinderserie "Pan Tau" geweckt. Der elegante, stets lächelnde Zauberer und Vermittler zwischen Traum und Realität war ein Sichtbarmacher der offensichtlichen Differenz von Kinder- und Erwachsenenwelt und nicht wenigen war er Held ihrer Kindheit.
"The Pocket Man" ist die erste animierte Arbeit der Künstlerinnen aus Georgien. Sie entstand als französisch-schweizerisch-georgische Co-Produktion und ist ein Länder und Kulturen übergreifendes Projekt. Zehn Monate haben die beiden Frauen, die eigentlich Architektin und Graphikdesignerin sind, zusammen mit einem 40-köpfigen Team an diesem Projekt gearbeitet. Richtig in die Umsetzung ging es, als Ana Chubinidze als "Artist in Residence" von einer französischen Filmproduktionsfirma eingeladen wurde, "The Pocket Man" zu realisieren. Hier lernte sie, erzählte sie, so richtig, wie ein animierter Film entsteht. Sie stattete ihre Figuren mit einem inneren Metallgerüst aus und schuf bewegliche Glieder, um sie anschließend auf ihrem papierenen Untergrund magnetisch bewegen zu können. Das spart Arbeit und Zeit, sagte sie, und doch ist es knifflig, werden die Figuren alle aus unterschiedlichen Ansichten gebraucht.
Heute betreiben die beiden Frauen in Tiflis ein Studio, das sie in Anlehnung an ihren ersten Film "Pocket Studio" genannt haben. Hier geben sie regelmäßig Workshops für Kinder und Jugendliche, in denen sie ihnen, ähnlich wie jetzt in Bad Belebung, den Umgang mit Papier, Farben und Geschichten zeigen. Hier entsteht auch in enger Zusammenarbeit ihr zweiter Kurzfilm, eine Geschichte über den Alien Francy, der gerne viele Suppen kocht. Das, was die beiden Frauen und ihr Team in nur sieben Minuten schaffen, ist eine scheinbar naive Annäherung an die ungeliebten Seiten in uns, unsere Vorurteile, unser Misstrauen und unser letztlich doch aufeinander Angewiesen-Sein. Ein hoch explosives Thema, spielerisch und leicht aufbereitet. Es ist umso verständlicher, dass der Film international bereits auf mehr als 140 Festivals tourte und inzwischen über 20 Auszeichnungen abgeräumt hat.
Vielleicht gelingt es Rikarde Riedesel zur Finissage der kleinen, aber feinen Ausstellung in der Volksbank, den gesamten Film nach Bad Berleburg zu holen. Bis dahin seien alle Leser aufgefordert, sich den Trailer zum Film auf Youtube anzusehen. Spätestens dann werden sie Lust haben, auch unabhängig von ihren Bankgeschäften in der Volksbank vorbeizuschauen. Es lohnt sich.
Von Anja Helmbrecht