Über die Grenzen hinweg lesen

Das Berleburger Literaturpflaster ist die Mutter aller Festivals in Südwestfalen. Die Reihe Leselust in Hagen und Umgebung leistet dort Pionierarbeit, wo es weh tut

Jim Knopf (Solomon Gordon) will das Lesen nicht lernen, da macht auch Lokomotivführer-Lukas (Henning Baum) nichts. Das Filmriss-Kino Gevelsberg zeigt den Film beim Leselust-Festival. (Foto: Warner Bros. Entertainment)

Hagen/Bad Berleburg. Der Herbst ist Lesezeit – auch in Südwestfalen. Zwei große Festivals bringen Autoren und Bücher in die Region. Das Berleburger Literaturpflaster stellt das jeweilige Buchmessen-Gastland in Wittgenstein vor und feiert jetzt als Mutter aller westfälischen Literaturfestivals sein 25-Jahr-Jubiläum. Leselust in sieben südwestfälischen Städten rund um Hagen gehört inzwischen zu den größten Leseförderungs-Aktionen für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Während beim Literaturpflaster die weite Welt in den ländlichen Raum kommt, gehen die Organisatoren von Leselust dorthin, wo es oft weh tut, zu den Jugendlichen, die aufgrund sozialer oder ethnischer Herkunft keinen Bezug zum gedruckten Wort haben.

"Die Vernetzung zwischen den Städten ist gewachsen."
Jürgen Breuer, Team Leselust-Festival

"Lesen hat es schwer", konstatiert Anna-Maria Stenz vom Kulturbüro Iserlohn, die zusammen mit Jürgen Breuer vom Kulturzentrum Pelmke in Hagen Leselust organisiert. "Die Kinder hängen am Handy, am Fernseher, da spielt das Buch keine große Rolle mehr, wenn man Unterhaltung digital einfacher serviert kriegen kann. Das ist schade, weil Lesen die Grundlage von allem ist. Wer gut lesen kann, der kann auch am Computer mehr machen als nur Videos gucken." Gerade deswegen bietet das Leselust-Team 74 Veranstaltungen an, davon 35 allein in Hagen.

Puppentheater und Karaoke-Lesung

Der Begriff "Lesung" umfasst bunte und interaktive Angebote wie Puppentheater, Poetry Slam und Karaoke-Lesung. Das Westfälische Landestheater kommt mit dem Klassenzimmerstück Malala, und das Filmriss-Kino Gevelsberg geht mit dem Film "Jim Knopf" in die Schulen, weil der ja Lesen und Schreiben zunächst für unmännlich hält. Das Konzept ist niederschwellig, das Niveau hoch. Die Autorin Stefanie Höfler zum Beispiel steht mit ihrem Roman "Tanz der Tiefseequalle" aktuell auf der Nominierungsliste zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2018.

"Je ungewöhnlicher die Orte, desto kultiger die Lesung."
Rikarde Riedesel, Berleburger Literaturpflaster

Leselust bringt Städte in Südwestfalen zusammen. So kooperieren Schulen, kleine Büchereien und große Bibliotheken, Kulturzentren und Kinos. In diesem Jahr kommen Halver, Kierspe und Meinerzhagen neu in den Verbund. Es gibt Veranstaltungen nur in Schulen und öffentliche, die jeder Interessierte besuchen kann. "Die Vernetzung zwischen den Städten ist gewachsen", freut sich Jürgen Breuer. "Es gibt mehr Austausch der lokalen Akteure untereinander. Die Neuen profitieren von den Erfahrungen derjenigen, die schon länger mitmachen."

Dr. Zaal Andronikashvili beim Berleburger Literaturpflaster in der Kur-Apotheke. (Foto: Christoph Haupt)

"Manchmal ist es schon bitter, wenn man sieht, dass sich einige Kinder nur 30 Sekunden lang am Stück konzentrieren können", rekapituliert Anna-Maria Stenz. Jürgen Breuer ergänzt: "Das ist ein Trauerspiel. Aber man muss dranbleiben." Das macht Leselust den Schulen so einfach wie möglich. Die können den Autor fix und fertig buchen, und das Ganze kostet pro Schüler nur einen Euro. Anna-Maria Stenz und Jürgen Breuer haben jedoch noch weitere Träume. Sie würden gerne aus dem Festival heraus Autorenpatenschaften anbieten können. So dass ein Schriftsteller mehrmals im Jahr eine Schule besucht. Dann wäre die Leseförderung nachhaltiger. Aber dafür reicht das Geld nicht, da sind Sponsoren gefragt.

Weltliteratur in Wittgenstein

Solche Sogen hat das Berleburger Literaturpflaster nicht. Ein breites Netzwerk von Unterstützern ermöglicht, dass jährlich Weltliteratur in der südwestfälischen Provinz ein Kapitel aufschlagen kann, und zwar auf Augenhöhe mit Reihen wie der lit.Ruhr. Auf der Frankfurter Buchmesse wird das Literaturpflaster als vorbildlich gelobt, weil es die Ehrengast-Idee so konsequent umsetzt. 2018 ist Georgien der Buchmessen-Schwerpunkt. "Die Nino Haratischwili ist mit ihrem Roman ,Die Katze und der General’ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises", listet Rikarde Riedesel stolz auf. "Sie liest am 29. Oktober bei uns. Wenn sie es wird, haben wir die Preisträgerin kurz nach der Preisverleihung in Berleburg."

Vor 25 Jahren hat Rikarde Riedesel bei der Stadt Bad Berleburg angefangen und gehört zu den Initiatoren des Literaturpflasters. "Ich wollte eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben", erinnert sie sich. "Der Vorteil der ländlichen Region ist: Wenn man eine Idee hat, erhält man auch den Freiraum, sie umzusetzen. Das funktioniert über Team und Netzwerkarbeiten. Alleine wäre das nicht zu schaffen."

Das Literaturnetzwerk in Bad Berleburg funktioniert, weil so viele mitmachen, als Sponsoren, als Gastgeber und als Besucher. Das Publikum, das aus dem sehr weiten Umkreis kommt, erlebt die Lesungen im Baumarkt, im Schaumstoffwerk oder in der Apotheke. "Je ungewöhnlicher die Orte, desto kultiger nachher die Veranstaltung", bilanziert Rikarde Riedesel. Dieses Zusammenspiel ermöglicht die hohe Qualität der Reihe ebenso wie der kurze Draht nach Frankfurt. Rikarde Riedesel ist bereits auf dem Sprung, um bei der Buchmesse in wenigen Wochen mit den Verlagen über das Literaturpflaster 2019 zu verhandeln. Dann steht Norwegen im Mittelpunkt.

Von Monika Willer

Literaturpflaster und Leselust

Das 25. Berleburger Literaturpflaster präsentiert bis zum 9. November Kultur und Literatur aus dem Buchmessen-Gastland Georgien an ungewöhnlichen Orten in Bad Berleburg. Das komplette Programm: www.literaturpflaster.com

Am Kinder- und Jugendbuch-Festival Leselust beteiligen sich in diesem Jahr die Städte Hagen, Iserlohn, Kierspe, Meinerzhagen, Plettenberg, Halver und Gevelsberg. Bis zum November gibt es 74 Veranstaltungen in Schulen und Kindergärten sowie öffentliche Lesungen. Das Programm für die einzelnen Orte: www.leselustfestival.de


WESTFALENPOST (25.09.2018)
Internet: www.wp.de/staedte/wittgenstein/
Bildquelle: Fotos von Warner Bros. Entertainment und Christoph Haupt

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