Wobei sie in Wemlighausen sehr persönlich von den Monaten rund um die Geburt ihres Sohnes sprach. Anderthalb Jahre lang habe sie sich damals sehr allein gefühlt, weit weg von zuhause, von ihrer Familie, die immer noch komplett in Georgien lebt. Deshalb habe sie Zuflucht im Glauben, in der Kirche gesucht. Sie lebte zu jener Zeit schon Jahre in Deutschland, die heute 40-Jährige ist seit 1999 hier. Ihr Sohn ist mittlerweile 13 Jahre alt, spricht besser Deutsch als Georgisch und kann sie dadurch auch prima in ihrer Arbeit unterstützen. Sie übersetzt nämlich inzwischen nicht nur aus dem Deutschen ins Georgische, sondern auch umgekehrt aus dem Georgischen ins Deutsche. Und bei Jugendsprache sei ihr Sohn eine große Hilfe, bei einer konkreten Unterstützung bekomme er übrigens mehr Taschengeld am Monatsende.
Ihre Zweisprachigkeit erwies sich bei der Literaturpflaster-Lesung als Geschenk, ohne die Notwendigkeit für Übersetzungen war die Dynamik des Gesprächs hoch, die Kommunikation ganz unmittelbar. Dazu trug auch die Tatsache bei, dass ihre düsteren Erzählungen von geschundenen Seelen zu einem großen Teil autobiographische Züge tragen. Was man kaum glauben wollte, wenn man im Abenteuerdorf immer wieder das fröhliche Lachen der Iunona Guruli von heute sah und hörte.
Für sie berge das Autobiographische auch Gefahren, so habe sie einmal bei einer Lesung fast angefangen, zu weinen, weil ihr die Geschehnisse so nahe gewesen seien. Auch als sie jetzt in die Erzählung "Das dunkle Tuch" vorlas, wurde sie gegen Ende immer schneller, vielleicht um dem Unausweichlichen zu entgehen. Dabei handelte es sich um die Geschichte einer Mutter, die in Schwermut versinkt, dem Selbstmord immer wieder ins Auge schaut und nach der Frage ihres Kindes, was Depressionen sind, das Folgende denkt: "Das Kind schaut dich an mit den Augen der Mutter, des Vaters, des besten Freundes, des Geliebten, der Tochter, Gottes und wartet auf die Antwort. Und du spürst mit der Gebärmutter, dass Gott schreckliche Angst hat, dich zu verlieren."
Soweit die Atheistin aus dem Land, von dem die Legende erzählt: Die Georgier verpassten bei der Schöpfung die offizielle Vergabe der Heimatgebiete durch Gott, so dass der Herr ihnen am Ende das schönste Fleckchen Erde überließ, dass er eigentlich für sich selbst vorgesehen hatte.
Die nächste Lesung zum Literaturpflaster mit einer Geschichte aus diesem mutmaßlich schönsten Land der Welt findet am Sonntag, 14. Oktober, mit Nana Ekvtimishvili im Berleburger EJOT-Labor statt.