Bad Berleburg. Nura ist 17 Jahre alt und wohnt in einem kleinen Dorf in Tschetschenien, als der Krieg zwischen Russland und Tschetschenien ausbricht. Sie ist eine junge, freiheitsliebende Frau, munter und ein wenig kindlich. "Ihr Mut ist es, der ihr später zum Verhängnis wird", sagte Nino Haratischwili über ihre Protagonistin. Dabei sprach sie von einer grausamen Nacht, in der Nura von mehreren Männern brutal vergewaltigt wird. Nun ist Nura tot. Was bleibt, sind die Erinnerungen an sie und an jene Nacht. Erinnerungen, mit der auch der General Alexander Orlow und die Katze, eine in Berlin lebende Schauspielerin, zu kämpfen haben.
Es sind Geschichten, die an den Tschetschenien-Krieg in den 90er-Jahren erinnern und die Zuhörer der letzten Lesung des diesjährigen Bad Berleburger Literaturpflasters in ihren Bann zu ziehen scheinen. Diese fand in der großen Halle des Berleburger Schaumstoffwerks statt, in der kaum ein Stuhl unbesetzt blieb. "Wird das Buch auch in Tschetschenien veröffentlicht?" "Wir war ihre Recherche vor Ort?" – Fragen, die die Zuhörer bewegten.
Die Recherche
"Ich glaube nicht, dass dieses Buch in Tschetschenien veröffentlicht wird", sagte Nino Haratischwili. Denn es seien Geschichten, die kaum in Dokumenten zu finden sind. "Ich bin in das Land gereist, weil ich wissen wollte, wie es dort riecht, wie die Menschen leben und der Wirklichkeit des Landes näher kommen", sagt sie.Währendsie sich für ihren ersten Roman "Das achte Leben (für Brilka)" durch zahlreiche Dokumente las und Interviews führte, ging es ihr diesmal weniger um Belege.
"Mir war klar: Worüber ich schreibe, möchte niemand reden. Dort herrscht immer noch die Diktatur und man kann mit falschen Fragen die Menschen in Gefahr bringen." Die Kriege in Tschetschenien würden nicht in der Öffentlichkeit geführt.
"Mir war klar: Worüber ich schreibe, möchte niemand reden."
Nino Haratischwili über ihre Recherche in Tschetschenien
Inspiriert habe Nino Haratischwili die Journalistin Anna Politkowskaja, die mehrfach über das Land berichtet habe und 2006 ermordet wurde. "Ich habe ihre Berichte gelesen und es hat mich nicht mehr losgelassen", sagte die Autorin.
Die Geschichte
In einem der Berichte beschreibe Anna Politkowskaja eine Gruppe Männer, russische Soldaten, die eine Art Kriegsurlaub in einem abgelegenen Ort in Tschetschenien verbringen sollen. "Was ich so wahnsinnig fand war, dass die Männer, allen voran der Oberst, den Frieden im Ort nicht ertrugen und den Krieg weiterführen wollten. Seine Soldaten haben die Häuser angezündet, die Bewohner gefoltert, eine Frau vergewaltigt." Diese Frau nennt Nino Haratischwili Nura, die immer wieder in den Erzählungen der verschiedenen Protagonisten auftaucht. "Mir ging es weniger um die Gewalt, als um den inneren Zustand der Menschen", sagte Nino Haratischwili.
Insgesamt drei Hauptcharaktere bestimmen den Roman: Katze, Krähe und der General. Die Katze ist eine in Berlin lebende Schauspielerin, deren Familie nach Deutschland kam, um ein Leben in Wohlstand zu leben und sich nun mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Als Krähe wird der Berliner Journalist genannt, der sich auf die Geschichten in Osteuropa stürzt, in denen auch der General eine wichtige Rolle spielt. "Sie alle wirken zu Beginn des Romans isoliert. Doch nach und nach erkennt man ihren Zusammenhang", so Nino Haratischwili. Sie alles seien wie die Seiten eines Zauberwürfels.
"Das Schicksal eines Protagonisten hat eben auch Einfluss auf die anderen Charaktere", sagte sie. Daher habe sie aus gleich drei Perspektiven die Geschichte erzählt. "Grundsätzlich ist es schwerer aus der Perspektive eines Täters zu schreiben, da die Distanz dort größer ist. Aber diesmal gab es die reale Geschichte einfach vor und ich wollte weder mich noch den Leser schonen."
Die Sprache
Geschrieben hat Nino Haratischwili den Roman "Die Katze und der General", wie auch ihren ersten Roman, auf Deutsch. "Ich lebe seid zirka 15 Jahren in Deutschland und schreibe auch auf Deutsch, sowohl die Romane als auch meine Theaterstücke." Dabei sei sie durch das Theater zum Schreiben gekommen, eine Kunst, die sie jedoch als eher "einsam" beschreibt. "Ich mag beides. Allerdings merke ich, wenn ich zulange geschrieben habe, dass ich zurück zum Theater möchte und wenn ich dort lange genug war, dass ich lieber wieder schreiben möchte", sagt sie.
Teamarbeit und das Alleinsein – Nino Haratischwili möchte auf keines der beiden Formen verzichten. "Das Thema gibt mir am Ende vor, ob sich die Geschichte für einen Roman oder ein Theaterstück eignet. Dabei gehe ich immer von mir selbst als Leser aus", sagte sie auf die Frage, welche Form der Erzählung ihr am ehesten zusagt.
Von Ramona Richter