Anthony McCarten:
"Ganz normale Helden"

Buchbesprechung

Anthony McCarten: Ganz normale Helden (Buchcover)

Bad Berleburg. Ein Jahr ist es nun schon her, dass Donald gestorben ist. Die Familie Delpe hat sich auseinander gelebt. Scheinbar unüberwindbare Trauer lässt vor allem Jim und Renata Delpe auseinanderdriften. Der einzige Punkt, der die Familie zusammenhält, ist der Erstgeborene, Jeff. Doch als dieser plötzlich verschwindet, scheint die Familie komplett auseinander zu brechen und das Leben nur noch aus Erinnerungen an bessere Tage zu bestehen.

Dass man manchmal ungewöhnliche Wege gehen muss, um ins Leben zurückzukehren, muss vor allem Jim Delpe erfahren. Um seinen Sohn wieder zu finden, folgt er ihm ins Onlinespiel Life of Lore. Dort gerät er in den Bann der virtuellen Welt. Ganz wie im realen Leben muss er moralische Entscheidungen fällen und sich komplexen Herausforderungen stellen. Die Denkanstöße, die er dort erhält, führen ihm sein bisheriges Leben noch einmal vor Augen. Auf der Suche nach seinem Sohn erfährt er viel über sich selbst. Das Spiel: Eine Art Reise zu sich selbst, die auch das primäre Leben beeinflusst.

Anthony McCarten widmet sich in seinem neusten Roman Ganz normale Helden der Welt des Internets, welches mittlerweile fast überall in den Alltag der Menschen Einzug gehalten hat. Es offeriert insbesondere den Protagonisten eine alternative Welt zur Realität, in der sie ihr eigenes Leben kompensieren und sich virtuelle Rückzugsorte schaffen. Hier interagiert die überfürsorgliche Mutter, die sich in einer tiefen Depression befindet, mit einem Seelsorger, der sich als Gott höchstpersönlich vorstellt. Jim, der im normalen Leben Anwalt ist und als Ritter für die Gerechtigkeit agiert, wird zum Krieger im Kampf um seinen eigenen Sohn und schreckt selbst vor einem tödlichen Verbrechen nicht zurück. Und Jeff, der rebellische Sohn und neurotische Lügner, wird zum Führer, Lehrer und Held der virtuellen Welt. In ihr findet er endlich seine eigene Identität, die ihm das reale Leben bisher verwehrte.

Der Nachteil daran: Kommunikation findet in der Familie Delpe nur im Internet statt, die Ehe steht kurz vor dem aus, von Liebe ist keine Rede mehr. Die Familie verfängt sich im world wide web, wird nicht nur Opfer kommerzieller Ausnutzung sondern gerät in einen Hinterhalt, der die Mauern der virtuellen Welt schneller übersteigt, als eigentlich lieb ist. Ist das das Ende der Familie?

Dass Anthony McCarten auch Autor von Drehbüchern und Theaterstücken ist, findet immer wieder Eingang in seine literarischen Werke. Der Aufbau seines neusten Romans ähnelt einem Dreiakter. Das Thema Internet ist omnipräsent. Regieanweisungen werden über Tastenkombinationen vermittelt, Szenen in Level umbenannt. Dialoge sind an der Tagesordnung und strukturieren nicht nur das Leben der Protagonisten. Es ist der metaphorische Gebrauch für das Leben selbst, der hier in den Vordergrund rückt. „Jedes Leben hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende ... wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“

Ganz normale Helden steht ganz in der Tradition seines Vorgängers Superhero und beweist einmal mehr, dass Anthony McCarten es versteht, sich tiefgründig und vor allem authentisch mit den alltäglichen Problemen des menschlichen Daseins auseinanderzusetzen. Sehr realitätsnah und menschlich zeichnet er den Umgang mit Tod und Leben der drei sehr unterschiedlichen Figuren nach. „Welcher ist nun der Richtige?“, wird man sich fragen.  Doch anstatt die ultimative Antwort bereit zu halten, überlässt McCarten  es letztlich dem Leser zu entscheiden, welcher Weg nun der bessere ist.

Von Melanie Günther

Anthony McCarten: "Ganz normale Helden"
Diogenes 2012
ISBN 978 3 257 86218 8
Gebundene Ausgabe 22,90 €


Siegener Zeitung (26.09.2012)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: Foto vom Diogenes-Verlag

Siegener Zeitung

© 2007-2013 Berleburger Literaturpflaster - Literatur & Kultur aus dem Schwerpunktland der Frankfurter Buchmesse.
Impressum :: Datenschutz :: powered by jr webdesign