Professor Dr. Dieter Riemenschneider
bot jetzt einige spannende Einblicke
in die Literatur Neuseelands
"Tena ra kouto katóa! – Seid alle gegrüsst!"
"Die fremden Siedler, Forscher und Missionare begannen also langsam, sich auf Neuseeland einzustimmen." Dabei sei die dort vorherrschende Kultur der "Ureinwohner" jedoch aus europäischer Sicht zunächst als "rückständig" begriffen und abgestempelt worden. Folgerichtig habe sich dies auch vielfach in der Literatur niedergeschlagen: Geschichten wie Lady Barkers "Christmas Dy in New Zealand" oder Kathrine Mansfields "An der Bucht" oder "Das Gartenfest" würden dies nur allzu deutlich zeigen. Hier sei eine englische Klassengesellschaft geradewegs auf neuseeländischem Grund und Boden "neu inszeniert" worden.
Man müsse diese Texte übrigens sehr genau lesen. "Denn man sieht sich gerade bei Katherine Mannsfield immer mit der Frage konfrontiert: Wer spricht da eigentlich gerade? Ist es die Erzählerin oder eine der Protagonistinnen?", so Professor Dr. Dieter Riemenschneider.
Jene neuseeländische Literatur des 19. Jahrhunderts rückte offenkundig das Verhältnis der Geschlechter und ihre verschiedenen Rollen in der Gesellschaft in den Vordergrund. Eine erste Wende trat diesbezüglich mit dem Ersten Weltkrieg ein: "Neuseeland schickte damals 100 000 Menschen in den Krieg." Derlei Entwicklungen, wie auch die spätere Wirtschaftskrise im Land mit etwa 45 Prozent Arbeitslosigkeit, hätten schließlich auch die Literatur und ihre Autoren maßgeblich beeinflusst. "Denn plötzlich war in den Erzählungen die Entfremdung ein vorrangiges Thema." Auch seien vermehrt die Ereignisse aus den zurückliegenden Tagen des Kolonialzeitalters verarbeitet worden. Seit den 1930er Jahren, nach der Erlangung der Unabhängigkeit von Großbritannien, sollte daraufhin in der Literatur eine kritische Betrachtung der Gesellschaft einsetzen, die schon bald in deutlichen Fragen nach der eigenen neuseeländischen Identität münzten. Für jene kritischen Töne seien gerade Schriftsteller wie Robin Hyde oder Frank Sargeson maßgeblich verantwortlich gewesen. Die Romane und Erzählungen hätten dabei immer wieder auch typisch männliche neuseeländische Attribute verarbeitet: "Der Mann erscheint dabei nicht selten eigenbrödlerisch, als wortkarger Alleingänger, der sich meist nur seinen nächsten Freunden mitzuteilen weiß" – was nicht zuletzt auch in John Mulgans Romantitel "Man Alone" gipfelte.
Mit der Zeit aber sei auch die Riege der Autorinnen enorm angewachsen, die in ihren Schriften wiederum jene literarisch geprägten Mannsbilder kritisch beleuchteten, oder "ironisch in Zweifel stellten". Professor Dr. Dieter Riemenschneider nannte hier exemplarisch Werke wie "Wenn Eulen schreien" oder "Ein Engel an meiner Tafel" von Janet Frame, sowie Maurice Gees Familien-Epos "Plumb".
"Seit den 1940er Jahren hatte sich schließlich ein neues neuseeländisches Bewusstsein herausgebildet mit neuen literarischen Themen und Stilmitteln", so der Referent, wobei gerade der Sprachwitz und das Talent eines Owen Marshall oder Vincent O’Sullivan hervorzuheben seien.
In den 1970er Jahren sollte daraufhin die Maori-Literatur mit der bewussten Wiederentdeckung ihrer Tradition eine wahre "Renaissance" erleben. Vermehrt erschienen Bände, die die einstmals "gesungenen Lieder", Gedichte und Hymnen der Ureinwohner veröffentlichten. Und auch Autoren wie Witi Iihmaera oder Patricia Grace leisteten auf ihre Weise hierzu einen erheblichen Beitrag. Die Folgejahre hätten sich die Themenfelder der Literatur Neuseelands enorm breit gefächert. Mittlerweile seien es kreative Köpfe wie Phil Kawana oder Kelly Ana Morey, die beispielsweise die Generation der jungen, modernen und städtischen Maori und ihren Auszug aus den ländlichen Siedlungen zum Thema machen aber auch "phantasievolle, postmoderne Elemente" in ihren Werken verarbeiten würden. "Und schließlich sind drei weitere Stimmen in den jüngeren Pakeha- und Maori-Romanen wiederzufinden: die Schilderung des Geschehens außerhalb Neuseelands sowie Beispiele von fantastischer und Schwulenliteratur." Somit sei der Wandel von der einstigen "Einstimmung der Autoren auf das Land" zur "Vielstimmigkeit" vollzogen.
Im Anschluss an den spannenden Vortrag überreichte Bettina Born von der Kulturgemeine Bad Berleburg Professor Dr. Dieter Riemenschneider und der neuseeländischen Dichterin Jan Kemp einen Literaturpflasterstein. Organisatorin Rikarde Riedesel erhielt von Karsten Wolter einen Blumenstrauß und ein großes Lob für ihr besonderes Organisationstalent. Die Kustodin der Stadt gab schließlich das Kompliment gerne weiter und betonte noch einmal, wie wichtig die Zusammenarbeit der gesamten Veranstaltergemeinschaft sei, die Jahr für Jahr hinter der Verwirklichung des Literaturpflasters stehe.
Den Abend rundete ein kurzer Exkurs von Daniela Braun von der Kur Apotheke zu neuseeländischen Gesundheits-Tipps ab. Monika Brandl von der Berleburger Buchhandlung MankelMuth bot daraufhin eine Auswahl der besprochenen Literatur als Leseprobe an.
Von Dr. Volker Gastreich