Bad Berleburg. (cs) Welcher der fünf Herren der Schöpfung wohl am erotischsten ist? Die Frage ist leicht zu beantworten: jeder auf seine Art. Die Darsteller der sexiest Show auf einer Berleburger Bühne hatten enorm leichtes Spiel, die gut 300 Damen und wenigen Herren im Saal des Bürgerhauses mit Sprachwitz, ausufernden bis abschreckenden Figuren, knalligen heißen Höschen und langbeinigen "Eierwärmern" in Verzückung zusetzen.
"Ladies' Night" des neuseeländischen Autors Anthony McCarten, der kurz zuvor eine überaus unterhaltsame Lesung in Berleburg hielt, wurde durch das Marburger Theater "Waggonhalle" grell, bunt oder spelunkenbeleuchtet in Szene gesetzt.
Frivol ist hier gar kein Ausdruck. Harry (Uwe Fischbach), Klaus (Michael Klemm), Gerd Nisse Kreysing, Steffen Müller (Stephan Gaberdiehl) und Max (Johannes Tunyogi-Csapó) beschließen alle aus ein und dem selben Grund ein Stripper-Ensemble zu gründen: Geldmangel. Alle sind arbeitslos und da kam Harry die blendende Idee, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden. Warum nicht mal die eigenen Reize vor gierigen, schmachtenden und lechzenden Frauen auspacken?
Doch die Organisation des Unterfangens gestaltet sich schwierig. In Berleburg blieb wohl kein weibliches Auge, keine Achselhöhle trocken, als die Herren, so unterschiedlich ihr Format auch war, zunächst mit Musik aus der Konserve im heimischen Wohnzimmer Gerds ihre Stripperei aus Wollsocke und Funktionsunterwäsche, aus Fußballslip und verrutschtem Herrentanga praktizierten.
Tonangebend wie die Choreographie zu sein hatte, wollte der Wohnungsinhaber schon sein. Schließlich war er bereits über 20 Jahre mit Margot verheiratet, die keine fremden Frauenblicke duldete. Noch nicht einmal der Anruf einer Fremden war gestattet im Hause Vincent.
Die "sportlichen" Übungsstunden kamen einem absoluten Erotik-Fiasko gleich. Der eine ist zu dick, der andere ist schwul, der nächste wiederum zu schüchtern und der fünfte im Bunde zu sexy. Hinter der Stripp-Idee standen alle, doch je näher nach den Proben die erste Ausziehshow rückte, desto mehr wollten alle im wahrsten Sinne des Wortes den Schwanz einziehen. Die Damen im Saal lachten nicht, sie schrien und kreischten, japsten nach Luft. Erstaunlich nur: Der Altersdurchschnitt lag hier weit über 25 Jahren.
Neben all den herrlichen Momenten in dunkles Rot und heimeliges Orangelicht getaucht, alle Nackedei-Novizen plagten große Sorgen. Diese ernsthaften Momente hat Anthony McCarten stets als dramaturgisches Mittel genutzt, um aus dem tosenden und dauernden Zu-Laut ein seichtes leises Nachdenken herauszufordern. Schließlich glich der verbale Schlagabtausch, den die Herren sich lieferten, einer emotionalen Normalparabel. Ein Auf und Ab der Gefühle.
Darsteller Gerd war schlussendlich bereit doch noch den Auftritt durchzuziehen, allerdings nur mit Maskerade. Klaus indes empfahl seine Schulfreundin Lucy (Inga Berlin), die in einem gewissen "Etablissement" Erfahrungen sammelte und sie den Herren als "Trainerin" sozusagen zur Verfügung stellen konnte.
Gesagt – getan. Und: "Entweder ganz – oder gar nicht!" Das robuste Geschöpf stellte seine erotische Kampfkraft zur Verfügung und scheuchte die Pygniker, den Athleten und den Leptosomen über die Bühne bis zum bitteren Hecheln. Ihre Peitschenhiebe wirkten Wunder. Verflogen war all die Versagensangst der Herren. Sie vergaßen ihre Geldsorgen, ihre Arbeitslosigkeit, die Trauer um die verstorbene Mutter und den ewigen Kampf ums Sorgerecht für den Sohn.
Jetzt wurde gestrippt – ja, und dann flogen alle Hüllen. Den Bruchteil einer Sekunde genossen die Zuschauerinnen alles, was ein Mann zur Verfügung hat und zwar pur, ohne den Hauch einer textilen Faser.
Das Literaturpflaster in Berleburg einmal ganz anders – und das vergessen die Damen und auch Herren mit Sicherheit nie wieder.
Von Christiane Sandkuhl