Bad Berleburg. Ein Sanitätshaus als Ort für eine Literaturlesung ist für eingefleischte Literaturpflasterbesucher nichts Spektakuläres mehr. Für die indonesische Schriftstellerin Ayu Utami und ihren deutschen Übersetzer und Moderator der Veranstaltung, Dr. Peter Sternagel, hatte das Sanitätshaus Kienzle in der Berleburger Sählingstraße etwas sehr Illustres. "Für mich ist hierher zu kommen, abseits des Trubels der momentan laufenden Frankfurter Buchmesse, wie eine Oase, ein Ruheort trotz des bis zum Rand mit Zuhörern gefüllten Ladenlokals," so die Indonesierin.
Indonesien kennengelernt
Die Veranstaltergemeinschaft des 22. Literaturpflasters an der Odeborn schätzt sich in jedem Jahr glücklich parallel zur Buchmesse am Main, die namhaftesten Autoren des jeweiligen Ehrengastes in Frankfurt begrüßen zu können. Indonesien, das war bis vor wenigen Wochen noch literarisch, politisch und historisch in Wittgenstein Neuland. Inzwischen sind die Besucher der Traditionsreihe Kenner der "17.000 islands of imagination" (17.000 Inseln der Fantasie). Ayu Utami brachte mit ihrem zweiten Buch "Larung" eine weitere Geschichte indonesischen Schicksals nach Wittgenstein.
Ayu Utami lebt sehr spirituell
Ihr erster Roman "Saman" erschien 1998 kurz vor dem Sturz des Machthabers Suharto. "Larung" ist die Fortsetzung von "Saman", der Lebensbeschreibung des jungen katholischen Priesters. Ayu Utami lebt recht spirituell, ist praktizierende Katholikin und setzt sich in beiden Büchern sowohl mit der Mystik des Lebens auseinander, als auch mit den Gräueltaten des 32 Jahre dauernden Suharto-Regimes. Im September 1965 begann etwas, was in der Welt, der am wenigsten beachtete Massenmord der Geschichte ist, an über einer Million Menschen. Ayu Utami nimmt sich dem Schicksal Larungs an, einem jungen Drucker mit negativer Weltsicht, der mit der Pflege der uralten geschwätzigen Großmutter betraut ist, und daher ihrem Dasein ein Ende setzen will. Es ist wohl eine Art Euthanasie, der er er sich bedient und nichts besonderes dabei empfindet.
Immer wieder arbeitet Utami Blenden in die Zeit vor dem Massaker 1965 ein. Hier lässt sie die Großmutter zu Wort kommen und flicht nostalgische Momente der alten Dame mit ihrem Enkel Larung ein. Die Autorin bedient sich detaillierter, streckenweise grausamster Darstellungen von Hinrichtungen, geschlachteter Körper. Spätestens ab diesen intensiven Momenten weiß der Leser: das Leben ist voller Willkür und der Mensch rettet sich, indem er auf andere zeigt und sie schließlich zum Opfer macht.
Emotionsgeladene Sprache
Der Name "Larung" hat in Indonesien zwei Bedeutungen. Zum einen umschreibt er einen spirituellen Vorgang, einen Opfergang, indem die Asche nach dem Verbrennen der Toten an den Ozean, an die Erde und ihre Götter zurückgegeben wird, zum anderen ist "Larung" der Name der Hexenschülerin der Hexe Arang, die im Buch von großer Bedeutung ist. Hass und Vorurteil gegen Witwen und weise Frauen werden von Ayu Utami in moderne Form tradiert. Ein großes lesenswertes Werk, das sicher nach 313 Seiten sagen lässt: "Mir sind die Protagonisten, trotz aller Schicksalsschwere und dem furchtbaren Ende ans Herz gewachsen." In 100 Minuten bekam der Zuhörer einen Eindruck von emotionsgeladener Sprache, klarer Sicht zur Historie und radikaler Ablehnung von Unrecht.
Authentische Qualität
Sowohl Otto Marburger (Veranstaltergemeinschaft des Literaturpflasters) als auch Dr. Peter Sternagel geben ein großartiges Zeugnis über das zweite Werk der Journalistin Ayu Utami." Das Buch hat authentische Qualität. "Larung" behandelt alles aus dem Leben und bietet mit ihren tiefen intensiven Einsichten und einer glanzvollen aber auch gnadenlosen Sprache eine brillante Lehrstunde indonesischer Politik, harter Kritik in ihrem Bilderbogen über das Trauma der Massenmorde unter Suharto. Heute ist Ayu Utami eine Ikone der Literaur in Indonesien. Gefeiert und mit größtem Respekt bereist sie die Welt, informiert und hinterlässt immer einen Apell an die Menschlichkeit.
Das Team des Sanitätshauses Kienzle hat wie gewohnt hervorragend diesen unterhaltsamen Abend vorbereitet. Ein Dank der Veranstaltergemeinschaft "Literaturpflaster" in Form von Literaturpflastersteinen gingen an die Autorin Ayu Utami, an Dr. Peter Sternagel und an das Sanitätshaus, entgegen genommen von Bettina Kuhn-Henk.
Von Christiane Sandkuhl
Vom Model über die Journalistin zur Autorin
Ayu Utami wurde am 21. November 1968 in Bogor, West-Java geboren. Sie wuchs in Jakarta auf und studierte dort Russisch und Literatur. Sie beendete das Studium mit dem Bachelor.
Aufgrund ihres attraktiven Äußeren wurde ihr eine Modelkarriere vorgeschlagen, die sie ablehnte und sich auf ihre Arbeit als Journalistin konzentrierte.
Sie trat der Allianz unabhängiger Journalisten bei, die allerdings im Jahr 1994 noch unter dem Regime Suharto verboten wurde.
Ayu Utami ist heute, nach dem Leben als Agnostikerin, praktizierende Katholikin.