Martin Jankowski hielt die Einführung in die indonesische Literatur

Wo Lesungen auch mal die ganze Nacht dauern

Martin Jankowski trug am Montagabend in der Kur-Apotheke engagiert einen Einblick in die indonesische Literatur vor. (SZ-Foto: Guido Schneider)

Bad Berleburg. (schn) Mit dem zwiespältigen Motto "Zwischen Traum und Trauma" hatte Martin Jankowski seinen Vortrag über die Entdeckung eines in Deutschland fast unbekannten Literaturkontinents überschrieben. Der Autor, der sich selbst mit einem Augenzwinkern als "Voll-Ossi" bezeichnete, weil er in allen fünf ostdeutschen Bundesländern eine Zeit lang gewohnt hat, lebt heute in Berlin und ist wahrscheinlich einer der besten Kenner der indonesischen Literatur in Deutschland. Mit viel Witz und einem großen Selbstbewusstsein, was die eigenen Werke betrifft, stellte er dem Publikum des Berleburger Literaturpflasters Indonesien als "Literatur auf Rezept" vor.

Mal abgesehen davon, dass indonesische Literatur in Europa keinen großen Markt habe und die Autoren eher unbekannt seien, ist die Literaturszene in Indonesien ganz anders als hierzulande. Während die Deutschen, wie fast alle Mitteleuropäer, sich gerne mit einem guten Buch die Zeit vertreiben und quasi überall lesen, haben Bücher in Indonesien keinen großen Stellenwert.

Martin Jankowski hatte dafür eine einfache und bestechende Erklärung: Das tropische Klima zerstört Bücher binnen weniger Jahre, die Schriftkultur in Südostasien verlegte sich eher auf wasserfeste Palmblätter oder auf Holz. Kulturell konnten sich also keine Bücher durchsetzen. Außerdem hat die Prosa keine große Bedeutung in Indonesien, dafür aber die Lyrik. Trotzdem gebe es ja auch in Indonesien großartige Romanautoren, einige davon sind in den kommenden Wochen in Bad Berleburg zu Gast. Martin Jankowski beglückwünschte das Publikum in der Kur-Apotheke zu den kommenden Gästen und den Orten, an denen sie lesen. Er selbst habe ja schon an vielen verschiedenen Orten gelesen, aber noch nie in einer Apotheke.

Deren Inhaber Karsten Wolter bietet jedes Jahr "Literatur auf Rezept". Diese Art der Lesungen dürften wohl auch in Indonesien sehr gut ankommen, denn in dem Inselreich sind solch ungewöhnliche Orte für Lesungen an der Tagesordnung. Wenn man einen Mann auf der Straße frage, welches Buch er gerade lese, dann gebe es darauf oft keine Antwort, aber rund 200 Gedichte auswendig könne dieser Mann sicher, sagte Martin Jankowski. Die Form der Literaturvermittlung sei in Indonesien eher mündlich. Als er zum ersten Mal zu einer Lesung in Indonesien gewesen sei, habe er die Bühne sofort wieder verlassen, weil er geglaubt habe, er sei in der falschen Halle. Auf seine Gedichte warteten rund 2.000 Zuhörer, obwohl sie weder seine Sprache verstanden noch seine Werke kannten. Im Rahmen von Lesungen werde gerne gesungen, gegessen und manchmal auch geschlafen. Solche Veranstaltungen könnten auch schon mal die halbe Nacht dauern, zumal man es mit der Pünktlichkeit nicht ganz so genau nehme. "Da wird es dann auch mal 22 Uhr, bis endlich alle da sind und man so richtig anfangen kann. In Indonesien läuft es einfach anders", sagte der Berliner Autor.

Dieses Beispiel zeigte, wie Literatur in Indonesien vermittelt wird – durch Festivals und Lesungen. Die Szene sei sehr lebendig und erfinde sich ständig neu so Jankowski, aber die Art, sich mit Literatur Kontakt zu bringen, sei eben ganz anderes als in Deutschland. Daher falle es Deutschen zunächst immer schwer, sich der indonesischen Literatur zu nähern. Vor dem Problem stehe auch die Frankfurter Buchmesse: Anders als in Finnland oder Island gebe es keine große Autorengemeinde, die viele Romane veröffentliche, die man übersetzen könne.

Rund 80 Autoren werden die Buchmesse besuchen, aber einen großen Teil der Lyriker werden die Besucher in Frankfurt und Bad Berleburg nicht kennenlernen. Das sei schon etwas schade, fand Martin Jankowski. Bilder und Bezüge finden die Literaten oft in den hinduistischen Dichtungen oder in den Motiven des Schattentheaters, das auf Java eine lange Tradition hat. Diese Geschichten kennen die Indonesier auswendig, sie wachsen damit auf und so sind Bezüge auf diese Motive und Themen für die Zuhörer leicht zu verstehen.

Diese Erfahrung machte auch Martin Jankowski in den vergangenen 15 Jahren. Als er sich das erste Mal mit dem Literaturkontinent Indonesien habe beschäftigen müsse, sei es um ein Festival in Berlin gegangen. Er sei gebeten worden, sich um einen Autor zu kümmern, der im gleichen Alter wie er selbst sei. Doch er habe lieber einen Amerikaner oder Russen haben wollen, denn dort kenne er sich ja schließlich aus. Doch dann habe man ihn regelrecht angebettelt – mit dem Erfolg, dass er sich auf ein faszinierendes Land eingelassen habe und auf eine reiche und bunte Literatur. Über 15 Jahre lang hat Martin Jankowski Kontakte geknüpft, ist heute gut vernetzt und als Autor in Indonesien bekannt.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (23.09.2015)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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