Bad Berleburg. „Bei Licht ist alles zerbrechlich“ - so poetisch lautet der deutsche Titel von Gianni Sollas jüngstem Roman. Im italienischen Original erschien das Buch im vergangenen Jahr als „Il ladro di quaderni“, übersetzt heißt das: der Hefte-Dieb. Das ist deutlich handfester. Und möglicherweise sind Lesende bei solch einem Titel auch zunächst mal vorsichtig: Wenn jemand stiehlt, dann fliegen demjenigen üblicherweise nicht gleich die Herzen der Menschen zu.
Der Hefte-Dieb heißt Davide und ist ein Jugendlicher im faschistischen Italien. Statt in die Schule zu gehen muss er im real existierenden Tora e Piccilli in den Bergen als Schweinehirt arbeiten, sein Vater findet nicht, dass er Bildung braucht. Aus dem 60 Kilometer entfernt liegenden Neapel werden 1942 Juden hierhergebracht, sie sollen in der Landwirtschaft arbeiten. So trifft Davide den intelligenten, schönen Stadt-Jungen und Lehrer-Sohn Nicolas, komplettiert wird ihr Trio durch die kluge örtliche Unternehmers-Tochter Teresa. Aus den Dreien wird eine verschworene Gemeinschaft, bis die Liebe dazwischenfunkt. Es ist ein wunderbares Buch über das Erwachsen-Werden, das Wege-Finden, eine historisch belegte Solidarität und die Bildung, das Schreiben, das Lesen als festes Fundament für Freiheit.
60 Menschen lernten den Roman „Bei Licht ist alles zerbrechlich“ jetzt auf dem Literaturpflaster im Foyer der EJOT-Holding im Herrengarten kennen. Außer ihnen war auch Gianni Solla nach Bad Berleburg gekommen, der sogar ein wenig aus seinem Buch auf Italienisch vorlas. Ansonsten gab es deutsche Textstellen von Christiane Biechele aus dem Literaturpflaster-Team. Begleitet wurde Gianni Solla von Barbara Neeb, die die italienischen Antworten des Autors auf die klugen Fragen von Rikarde Riedesel, Haupt-Organisatorin der Berleburger Veranstaltungsreihe, fürs Publikum übersetzte.
Und da gab es durchaus Überraschendes: Viele der Zuhörenden, die das Buch schon gelesen hatten, wunderten sich, als Gianni Solla über Davide sprach, der es vom Jungen, der bei den Schweinen schlief, zum Schriftsteller brachte, der von seinen Texten leben konnte. Dass „antipatico“ nichts Gutes bedeuten konnte, verstanden nicht nur die Frauen, die an der Volkshochschule Italienisch gelernt hatten und eigens aus dem Siegerland zu Gianni Sollas Lesung nach Wittgenstein gekommen waren. Irgendwo zwischen „unsympathisch“ und „unfreundlich“ zeichnete der literarische Vater den Charakter seines Geschöpfs. Aber auch hier kam am Ende die Freiheit zum Tragen. In diesem Fall die der Zuhörenden. Was scherte es sie, was sich der Autor gedacht hatte? Viele waren weiterhin vor allem von Davides unermüdlichen Zielstrebigkeit begeistert. Da fielen ein paar geklaute Hefte doch gar nicht ins Gewicht. Wie beeindruckend und gefährlich ist die Freiheitskraft der Literatur.
Man kann sie weiterhin kennenlernen. Und so gilt immer noch: Arrivederci auf dem Literaturpflaster.
Text: Jens Gesper