Bad Berleburg. Momentan wechseln viele Literaturpflastersteine in Bad Berleburg ihren Besitzer. Teilnehmende und Leute, die der traditionsreichen Veranstaltungsreihe ein Dach überm Kopf gewähren, bekommen seit Jahr und Tag die Boxen mit einem Pflasterstein und einem Zertifikat als Dankeschön. Die Allermeisten, die am Mittwochabend ein solches Geschenk aus den Händen von Berleburgs Bürgermeister Bernd Fuhrmann erhielten, kannten die Steine schon. Ungezählt sind die, die Axel Theuer als Vorstands-Vorsitzender der Sparkasse Wittgenstein entgegengenommen hat: Ist die Hauptgeschäftsstelle in Bad Berleburg doch alljährlich Ausstellungs-Ort. Markus Kirchgessner bekam seinen vierten Stein, nach Neuseeland, Brasilien und Indonesien hat er diesmal Menschen und Landschaften in Italien fürs Literaturpflaster fotografiert. Über 50 Aufnahmen sind bis Ende Oktober während der Öffnungszeiten der Berleburger Sparkasse Wittgenstein zu sehen. Die Foto-Erläuterungen stammen von Patrica Wohlgemuth, sie erhielt dafür ihren ersten Pflasterstein.
Im Sommer 2024 waren die Beiden mit dem Fahrrad auf den Spuren von Johann Wolfgang von Goethe unterwegs: von Bozen in Südtirol bis nach Marsala auf Sizilien und wieder zurück nach Mailand in die Lombardei. Während das Universalgenie sich zwei Jahre Zeit nahm, hatten Markus Kirchgessner und Patrica Wohlgemuth gerade mal zwei Monate. Dabei hielten sie sich nicht sklavisch an Goethes Reise-Route: Sie bereisten auch das südliche Kampanien und Kalabrien - ein Gebiet, das der deutsche Dichter mit einer Direkt-Schiffsreise von Neapel nach Sizilien komplett ignorierte.
Im Ausstellungs-Einführungsgespräch mit der Literaturpflaster-Organisatorin Rikarde Riedesel erläuterte Markus Kirchgessner das folgendermaßen: So sei man der Mafia sehr nahegekommen und habe auch ausgebeutete Geflüchtete gesehen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen die Früchte für die Obst-Abteilungen in unseren Supermärkten pflückten. Ihm sei es nicht darum gegangen, nur das Bilderbuch-Italien wahrzunehmen. Und auch im sizilianischen Syrakus habe er gedacht: „Goethe, schade, dass du nicht hier warst.“
Die Reise jetzt schuf auf eine zweite Weise die Verbindung zur Literatur. Markus Kirchgessner und Patrica Wohlgemuth trafen dabei zeitgenössische italienische Schriftsteller. Und so findet sich in der Sparkasse auch ein Porträt von Maurizio Fiorino, der am Dienstag, 8. Oktober, in Bad Berleburg liest. Die Ausstellung, die mit ihren hervorragenden Fotos knapp 240 Jahre nach Goethes Reise, vielschichtige, tiefe Einblicke ins Italien der Gegenwart gibt, kann sehr gut für sich allein stehen, ist aber auch eine perfekte Ergänzung zu den übrigen Literaturpflaster-Veranstaltungen.
Unter den gut 60 Besucherinnen und Besuchern der Ausstellungs-Eröffnung war auch ein Oberstufen-Kunst-Kurs des Johannes-Althusius-Gymnasiums Bad Berleburg mit seiner Lehrerin Anne Warratz-Ermert. Auf die jungen Leute wartete im Literaturpflaster-Rahmen noch ein ganz besonderes Angebot. Am Donnerstag- und am Freitagmorgen gab es in der Stadtbücherei jeweils für eine Hälfte des Kurses einen Workshop zum Thema „Reisefotografie“, Lichtbilder stehen ohnehin auf dem Lehrplan. Sehr anschaulich ließ der Profi Markus Kirchgessner die Zuhörenden teilhaben an seinem Fotografen-Alltag: Man brauche immer viel Geduld, außerdem habe er oft dreckige Klamotten, weil er sich für seine Fotos auf den Boden lege oder woanders besondere Perspektiven suche. Die Schülerinnen und Schüler hatten zudem eigene Aufnahmen mitgebracht, die der Experte kritisch begutachtete. Eine wichtige Rolle spiele der Bildausschnitt, „belanglos“ oder „großartig“ sei manchmal nur eine Frage des Ausschnitts. Und Markus Kirchgessner gab den jungen Leuten noch einen ganz wichtigen Satz mit auf den Weg: Fotos seien immer Interpretation der Realität.
Und nach wunderbaren Einblicken in das Italien der Gegenwart gibt es auf dem Berleburger Stadtgebiet weiterhin viele Gelegenheiten zu italienischen Begegnungen. Bis dahin: Arrivederci auf dem Literaturpflaster.
Text: Jens Gesper