Bad Berleburg. Das Konzept hinter dem Literaturpflaster ist so einfach wie genial. Im Herbst nähert man sich in Bad Berleburg dem Ehrengast der Frankfurter Buchmesse auf ganz unterschiedliche Arten an. Kerngeschäft sind dabei die Lesungen, bei denen man üblicherweise Schriftstellerinnen oder Schriftsteller aus dem jeweiligen Gastland und deren aktuellstes Werk Auge in Auge und live kennenlernt. Das ist in den vergangenen Wochen schon bei ganz unterschiedlichen, wunderbaren Veranstaltungen zum Thema „Italien“ passiert - und findet noch bis in den November hinein statt. Im Bildungszentrum Wittgenstein (BZW) war der Ansatz jetzt etwas anders. Schon der Name der Referentin ließ kaum eine italienische Nähe vermuten: Der Nachname „Ruschkowski“ definitiv nicht, aber sogar der Vorname „Klaudia“ - den vom Klang her auch die Italiener kennen - wurde mit „K“ geschrieben, einem Buchstaben, den unsere südlichen Nachbarn eigentlich gar nicht benutzen.
Und dennoch kennt sich Klaudia Ruschkowski mit italienischer Literatur aus, übersetzt sogar aus dieser Sprache. Und damit nicht genug. Unter der Überschrift „Perlen“ sind seit Mitte August sechs Bücher italienischer Autorinnen erstmals auf Deutsch erhältlich, sie ist die Herausgeberin dieser Reihe, zwei der Werke hat sie sogar selbst aus dem Italienischen übertragen. Die Auswahl ist dabei in jedem Belang beeindruckend: Neben Romanen gibt es hier auch Gedichte und literarische Kolumnen, während die Zeitungstexte noch älter sind, erschienen die Romane im Original zwischen 1931 und 2020, die Frauen kommen aus den unterschiedlichsten Regionen von der Lombardei im Norden bis nach Sizilien im Süden, von der Emilia Romagna im Osten bis nach Sardinien im Westen.
Auch wenn der Sardin Grazia Deledda 1926 der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde, ist ihr Name in Deutschland fast so unbekannt wie der von Arianna Cecconi, Alda Merini, Lalla Romano, Goliarda Sapienza und Matilde Serao. Auf den Punkt genau brachte Klaudia Ruschkowski ihren 50 Zuhörenden diese Frauen sehr nahe, als Schriftstellerinnen im Speziellen, aber auch als Menschen im Allgemeinen. Und sie machte Lust aufs Lesen der Werke, mit einem perfekt vorbereiteten Vortrag und jeweils passenden Textstellen aus den Büchern. In gewisser Weise nahm Klaudia Ruschkowski an diesem Abend die Tradition der früheren Literaturpflaster-Übersichts-Vorlesungen auf. Sie fanden bis zur Corona-Pandemie in der Kur-Apotheke statt. Diesmal war Apotheker Karsten Wolter gemeinsam mit Andreas Kurth, BZW-Geschäftsführer, Gastgeber im Bildungszentrum.
Genauso gut wie die Vorlesung selbst war auch dieser neue Literaturpflaster-Veranstaltungsort. Das Vortragspult war noch tagsüber hier vor Ort entstanden. Das Bildungszentrum ist eine Einrichtung in Trägerschaft der Wittgensteiner metall- und kunststoff-verarbeitenden Industrie und entstand vor fast 50 Jahren als Industrielehrwerkstatt Wittgenstein. Kurz vor dem Jubiläum im kommenden Jahr hat das BZW jetzt noch einmal auf ganz andere Art das Wort „Bildung“ mit Leben gefüllt. Auch wenn der Abend unterhaltsam und dank leckerer Schnittchen sowie Rot- und Weißwein nochmal anders gehaltvoll war, so konnte Jede und Jeder an diesem Abend doch auch dazulernen.
Und das noch lange nicht zum letzten Mal bei dem italienischen Veranstaltungs-Reigen. Bis dahin: Arrivederci auf dem Literaturpflaster.
Hier die Liste der vorgestellten Bücher:
Arianna Cecconi: Teresas Geheimnis
Grazia Deledda: Blicke der Liebe und des Neids
Alda Merini: Das Fleisch der Engel
Lalla Romano: Maria
Goliarda Sapienza: Ich, Jean Gabin
Matilde Serao: Der Bauch von Neapel
Text: Jens Gesper