Ein großes Ziel: Vom Norden bis in den Süden kommen
In Italien angekommen gab es eigentlich nur ein großes Ziel: Vom Norden bis in den Süden kommen, am besten bis nach Sizilien zum Ätna. Ihre Tagesrouten plante Hegemann spontan, am Morgen entschied sie, anhand des Wetters und ihrer körperlichen Verfassung, wie viele Kilometer sie zurücklegen würde. „Ich dachte, ich lass’ das mal auf mich zukommen“, berichtet die 53-Jährige. Sie habe keine Unterkünfte im Vorhinein gebucht, sondern höchstens am Morgen oder Mittag für die Nacht angefragt. Meistens schlief sie auf Campingplätzen im selbst mitgebrachten Zelt, nur wenn das nicht möglich war, gönnte sie sich ein Hotel. Auch körperlich habe sie sich nicht besonders vorbereitet: „Ich fahre jeden Tag Fahrrad, ich dachte, das kommt dann schon.“ Tatsächlich habe sie auch keinen Muskelkater bekommen, nach den ersten intensiven Tagen sei sie lediglich ein wenig erschöpft gewesen. Das einzige, was ihr schon Zuhause ein wenig Sorge bereitet habe, sei die Hitze gewesen: „Ich wusste nicht, wie ich darauf reagiere“, erklärt die Berleburgerin. Weil sie aber nur in den Sommermonaten die Möglichkeit für eine mehrwöchige Auszeit hat, nahm sie die Herausforderung an. Tatsächlich sorgten die Temperaturen teilweise für Unannehmlichkeiten, so musste Felicitas Hegemann manchmal Strecken abkürzen oder ungeplante Ruhepausen einlegen. Allerdings führte die körperliche Herausforderung auch zu einer großen Erkenntnis: „Ich hatte Schwierigkeiten, mich davon zu lösen, dass ich etwas schaffen und erreichen muss“, erzählt Hegemann, „loszulassen ist mir schwergefallen.“ Umso heißer es gen Süden jedoch wurde, desto mehr lernte sie, auf ihren Körper zu hören und jeden Tag auf sich zukommen zu lassen. „Ich musste lernen, auf mein Bauchgefühl zu hören.“ Auch jetzt, zu Hause, versuche sie, „weniger zu müssen“ und stattdessen „mehr zu dürfen“.
Waldbrände bei Neapel sorgen für ein unwohles Gefühl
Trotz so mancher Schwierigkeit – beispielsweise hatte Hegemann zweimal einen Platten – Baustellen und Sperrungen zwangen sie zu Umwegen und Waldbrände bei Neapel sorgten für ein unwohles Gefühl, sieht Felicitas Hegemann ihre Reise als rundum erfolgreich an. „Ich weiß, dass ich mir vorgestellt habe, dass es sich gut anfühlt und das hat es“, meint sie. „Ich wollte das Erlebnis für mich aufsaugen und festhalten“, weist die 53-Jährige auch auf ihren Instagram-Account „trekkingfelici“ hin, auf dem sie ihre Bekannten über die Ereignisse auf dem Laufenden hielt. Auch wenn sie so in Kontakt blieb, empfand Hegemann nie das Bedürfnis, mit Angehörigen zu telefonieren. Sieben Wochen mit sich alleine zu sein, war einfach für sie: „Ich war nie einsam“, durch die vielen neuen Eindrücke, habe sie menschliche Kontakte nicht vermisst. Und auf den Campingplätzen oder am Wegesrand begegnete sie auch regelmäßig anderen Reisenden – eine tolle Möglichkeit für Hegemann, ihr Italienisch anzuwenden. „Meine Hemmschwelle hat sich verändert“, berichtet sie. In jeder neuen Region musste sie sich erst neu an den Dialekt gewöhnen, dann konnte sie aber problemlos mit den Einheimischen kommunizieren.
Ein nächster Trip ist bislang noch nicht geplant. Weil Felicitas Hegemann ihre Reise aus familiären Gründen aber in Kalabrien beenden musste, träumt sie schon von einer Radreise in Süditalien – dann aber nicht so lang und nicht im heißen Sommer. Allen, die in Gedanken mit ähnlichen Unternehmungen spielen, aber noch mit sich hadern, rät die 53-Jährigen: „Ein paar Zweifel können gerne bleiben. Man sollte es auch machen, mit der Option, dass es nicht klappt.“ Denn für Felicitas Hegemann steht fest: „Machen ist wie wollen, nur krasser!“
Von Nora Denker