Der Thunfisch-Fang: Symbol für Größeres

Germana Fabiano hält die erste Lesung im Rahmen des Literaturpflasters in Bad Berleburg. Das Publikum ist begeistert von der Autorin, die in Palermo geboren wird und heute in Tübingen lebt

Germana Fabiano aus Tübingen nahm ihr Publikum im 'Dritten Ort', der Berleburger Bücherei der Zukunft, mit auf eine Reise in ihre alte Heimat Sizilien. (Foto: Jens Gesper)

Bad Berleburg. Auch wenn sich bisher wahrscheinlich wenige Frauen und Männer aus Wittgenstein jemals Gedanken über das Fangen von Thunfisch gemacht hatten, waren die knapp 40 Gäste durch die Bank weg nach der ersten Lesung auf dem Bad Berleburger Literaturpflaster „Italien“ hellauf begeistert.

Das Thema des Abends in der Stadtbücherei war der wahrscheinlich Jahrtausende alte, archaische Thunfisch-Fang vor Sizilien. Germana Fabiano stellt in ihrem Buch „Mattanza“ das hoch entwickelte Handwerk detailliert vor, das zum einen unendlich brutal scheint, sich zum anderen aber nachhaltig in den Lebenszyklus der Thunfische einpasst.

Ganz anders als in der heute üblichen industriellen Überfischung. Traditionelle Thunfisch-Fänger machten sich in Kooperation mit der Natur nach strengen, alten Regeln die Natur untertan. Weil Germana Fabiano zwar 1971 in Palermo geboren wurde, heute aber in Tübingen lebt, konnte sie auch auf Deutsch aus ihrem wunderbaren Werk lesen. Dabei ist „Mattanza“ ein Roman, kein Sachbuch, denn bei aller akribischer Beschreibung ist der Thunfisch-Fang lediglich ein Bild, ein Symbol für etwas Größeres, sehr viel Allgemeineres in einer sich rasant verändernden Welt. Von 1960 bis 2012 begleitet das Buch die Menschen, in elf Kapiteln wirft es auf 180 Seiten Blicke auf einzelne Jahre.

In einem Mikrokosmos geht es um Tradition, Geschlechtergerechtigkeit, um wirtschaftliche Ausbeutung von Mensch und Welt, um Identität, aber auch Migration. Kurzum: Germana Fabiano thematisiert fast alle Streitigkeiten, die gerade eine scheinbar unversöhnlich gespaltene Welt aus dem Gleichgewicht bringen. Und doch bewältigt sie diese Herkules-Aufgabe eindrucksvoll. Sie schaut genau auf die Menschen – und fragt. Und sie lädt so ihr lesendes Publikum zum Nachdenken ein – und ebenfalls zum Fragen. Dabei haben Lesungen beim Literaturpflaster den Vorteil, dass Zuhörende die Autorin tatsächlich selbst ausfragen können.

So erfuhr die Zuhörerschaft im „Dritten Ort“, der Berleburger Bücherei der Zukunft, von Germana Fabiano, wie sie zur Idee für Handlung und Hauptperson des Romans gekommen war, wie sie ihre Geschichten vor der Veröffentlichung durch lautes Lesen auf das unbedingt Nötige reduziert. Sie berichtete außerdem, weshalb es manchmal einfacher ist, sizilianische Erzählungen in Tübingen zu schreiben. Und Germana Fabiano erfuhr an diesem Abend ganz direkt, wie sehr ihre sizilianische Beschäftigung mit dem universellen Thema „Heimat“ auch in Wittgenstein bewegte und berührte. Obwohl es hier gar keine Thunfische zu fangen gibt.


Siegener Zeitung (16.09.2024)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: Foto von Jens Gesper

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