Bad Berleburg. (schn) "Tour de France" hieß es zu Beginn des Berleburger Literaturpflasters in der Kur-Apotheke von Karsten Wolter. Die traditionsreiche Veranstaltung "Literatur auf Rezept" bildete in diesem Jahr den Auftakt der Kulturreihe, die sich weit über die Odebornstadt hinaus einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. Prof. Ralf Schnell ist Schirmherr des Literaturpflasters und lieferte am Donnerstagabend eine literarische "Tour de France", die dazu geeignet war, die rund 90 Zuhörer bis an die Grenzen ihrer Kondition zu bringen.
Die große Schleife durch Frankreich gilt nicht ohne Grund als das härteste Radrennen der Welt. An diesem Punkt knüpfte Ralf Schnell an. Dabei ging er nicht so sehr auf die französische Literatur an sich ein, die es wahrscheinlich als geschlossenen Block gar nicht gibt, sondern richtete seinen Blick auf einige Schlaglichter aus dem französischsprachigen Raum. Das passt zum Programm des Gastlandes Frankreich, das bei der Frankfurter Buchmesse nicht allein Frankreich präsentieren will, sondern die französischsprachige Welt. Dazu zählen, wegen der kolonialen Geschichte der Grande Nation, Länder und Menschen rund um den Globus, aus ganz unterschiedlichen Kulturräumen.
Das spiegelte sich auch in den Literaturempfehlungen am Donnerstag wider. Einen Überblick über die Vielfalt aus dem französischen Raum bietet Olga Mannheimers aktuelles Buch "Blau Weiß Rot": eine Sammlung neuer und klassischer Beiträge, aktuelle wie berühmte Autoren werden vorgestellt. Michel Houellebecq muss man wohl nicht mehr vorstellen. Er ist einer der umstrittensten, aber gleichzeitig auch bedeutendsten französischen Autoren der Gegenwart. Mit seinem Werk "Unterwerfung" zeichnet er eine dystopische Zukunftsvision der europäischen Gesellschaften. Für ihn schafft sich das Abendland ab, freiwillig und seiner selbst überdrüssig, und überlässt Europa dem Islam. Houellebecq schreibt diese düstere Vision mit schwarzem Humor und bitterer Ironie. Noch radikaler geht Boualem Sansal mit "2084 – Das Ende der Welt" zu Werke. Schon der Titel macht deutlich: Hier geht es um eine Weiterentwicklung von George Orwells "1984". Auch hier gibt es jede Menge Neusprech und einen Autor, der die Zukunft des Jahres 2084 in einem fiktiven islamischen Land in tiefem Schwarz malt. Ironie und Humor sucht man vergebens, und es ist eine Mahnung, es in keinem Fall so weit kommen zu lassen. Eine weitere Leseempfehlung ist Emmanuel Carrère mit "Ein russischer Roman". Der Autor ist ein Narziss, er ist bösartig und er schreibt pornografisch, doch Carrère ist für Ralf Schnell gleichzeitig auch brillant.
Die Literaturliste des Literaturprofessors umfasste 23 Titel, zu viele, um sie hier alle einzeln vorzustellen. Die komplette Liste steht auf der Webseite des Literaturpflasters zum Download zur Verfügung. Ein Titel soll hier aber noch erwähnt werden: "Steine in meiner Hand" von Kaouther Adimi. Das Buch ist in der deutschen Übersetzung noch nicht erschienen. Doch dank des guten Rufs der Berleburger Kulturreihe erhielt Ralf Schnell ein Vorabexemplar. Adimi wird sein Werk am Sonntag, 8. Oktober, 20 Uhr, in der Schloss-Schänke in Bad Berleburg persönlich vorstellen.
Von Guido Schneider