Geschichte der Grautöne
Nach der Begegnung führt Matthias, gemeinsam mit einem Kameraden, das kleine Mädchen Renée in ein Waldstück – um es zu töten. Er zielt auf ihren Rücken – und plötzlich dreht sich das mutige Kind um, will dem Mörder in die Augen sehen. Ein Moment, der alles verändert.
"Matthias ist beeindruckt vom Lebenswillen des kleinen Waisenkindes, das wirft ihn aus der Bahn", kommentiert Rikarde Riedesel, die als Moderatorin durch den Abend führt.
Matthias überlegt kurz, richtet die Waffe dann auf seinen Kameraden – und drückt ab. Was folgt, ist ebenso eine Rettungsaktion, wie der Beginn einer Freundschaft.
Keine zehn Roman-Seiten sind gelesen, da entwickelt sich, statt der oft erzählten Geschichte von Peiniger und Opfer, ein spannender Blick auf die Grautöne der menschlichen Seele.
Kritische Stimmen in Frankreich
"Matthias ist kein Charakter, den man nur mit Schwarz oder Weiß betrachten kann", erläutert Pirotte im Gespräch mit Riedesel. "Gerade die Vielfalt ist menschlich. Sie steckt in jedem von uns."
Eine Einsicht, die nicht allen gefällt, wie Pirotte einräumt: "Bei einer Lesung in Frankreich hat mich eine Lehrerin heftig angeschrien", erinnert sich die Autorin. "Sie meinte, ich wecke im Roman Sympathien für ein Monster."
Mit Gegenwind hatte die gebürtige Belgierin in Berleburg nicht zu kämpfen. Im Gegenteil: Die lebendigen Textpassagen, gefühlvoll gelesen von Übersetzerin Marlen Jurdan, trugen eine besondere Stimmung in die Versandhalle der Berleburger Schaumstoffwerke. Nach der Premiere letztes Jahr fand zwischen Paletten und Schaumstoffmatten zum zweiten Mal eine Lesung des Literaturpflasters statt.
"Vielen Dank für ihr andächtiges, fast religiöses Zuhören", fand Pirotte freundliche, fast erleichterte, Worte am Ende des Abends. "Das Buch kann nun mal starke Reaktionen hervorrufen."
Von Marcel Krombusch
Lesestoff für die große Leinwand
- Die Drehbuchautorin Emanuelle Pirotte legt mit "Heute leben wir" ihren ersten Roman vor.
- Ursprünglich war statt des Buches ein Film geplant – Aufwand und Kosten legten das Projekt aber auf Eis.
- Der Erfolg des Buches erneuerte die Pläne: Drehbeginn ist im Frühjahr 2018.