Von der Entmenschlichung des Krieges

Valérie Zenatti stellte beim Bad Berleburger Literaturpflaster ihr neues Buch vor / "Jacob, Jacob" erzählt eine sehr emotionale Geschichte

Otto Marburger, Ehrenvorsitzender der Kulturgemeinde Bad Berleburg, überreicht nach einer außergewöhnlich eindrücklichen Lesung die Literatur-Pflastersteine an Übersetzerin Patricia Klobusiczky (l.) und Autorin Valérie Zenatti. (SZ-Foto: Guido Schneider)

Bad Berleburg. (schn) Das Bad Berleburger Literaturpflaster hat nicht nur einen guten Ruf in der Region, die Verlage wissen auch um die Bedeutung innerhalb der Literaturgemeinde. Nicht ohne Grund kam Autorin Valérie Zenatti zu einer von nur zwei Lesungen in Deutschland nach Wittgenstein. Gleichzeitig war der Abend im Autohaus Kroh die Premierenlesung ihres aktuellen Romans, "Jacob, Jacob". In Berleburg traf Valérie Zenatti zum ersten Mal auf ihre Übersetzerin Patricia Klobusiczky, die "Jacob, Jacob" mit einer ganz besonderen Leidenschaft ins Deutsche übertragen hat. Diese Leidenschaft merkt man der melodischen Sprache an, die viel von dem transportiert, was auch das das Original kennzeichnet.

Zenatti ist für ihre bild- und wortreiche Sprache mit langen Sätzen und detaillierten Beschreibungen in Frankreich bekannt. In Deutschland gehört die Autorin noch zu den Neuentdeckungen. Wer Patricia Klobusiczky genau zuhörte, der darf davon ausgehen, dass "Jacob, Jacob" bald hierzulande ein ähnlicher Erfolg beschieden sein wird, wie es schon in Frankreich der Fall war.

Die Geschichte, die Valérie Zenatti erzählt, ist eine emotionale und gleichzeitig sehr persönliche. Sie schildert das Leben und letztlich auch das Sterben ihres Großonkels Jacob Melki, und im gleichen Atemzug gibt sie ihren Lesern einen tiefen Einblick in ein in Deutschland fast unbekanntes Kapitel der Historie unserer Nachbarn. Jacob Melki ist Franzose. Er stammt allerdings aus Algerien – und er ist Jude. Nach der französischen Niederlage gegen die deutsche Wehrmacht bekommt das auch Algerien zu spüren. Die Juden werden zwar nicht direkt verfolgt, werden aber den Arabern gleichgestellt. Jacob muss die Schule verlassen und kann erst mit Verspätung seine Hochschulreife ablegen. Der Brief aus dem Bildungsministerium kommt erst an, als Jacob schon an der Front in Europa steht. Denn Frankreich betrachtet seine algerischen Bürger als Bauern auf dem Schachbrett der Weltpolitik. Zunächst ist Jacob nur ein Jude, nicht besser als ein Muslim. Dann plötzlich erinnert man sich an die Reserven, die das freie Frankreich in Nordafrika an Soldaten hat. Also wird auch Jacob eingezogen und erlebt die Entmenschlichung des Krieges schon in der Grundausbildung in der Wüste.

Trotzdem schafft er es, nicht zu zerbrechen, erlebt auf dem europäischen Kriegsschauplatz viele siegreiche Kampagnen und lernt auch eine junge Frau kennen. Am Ende aber fällt er im Elsass. Seine Mutter zieht sich in ihre eigne Welt zurück, hängt am Radio, ist fest davon überzeugt, dass ihr Sohn eines Tages wieder heimkommen wird.

"Jacob, Jacob" beleuchtet ein interessantes Kapitel in der französischen Geschichte. Frankreich war Kolonialmacht und verhielt sich in den abhängigen Gebieten nicht anders als andere Kolonialmächte. In Algerien, das zeitweise Teil des Mutterlandes war, lebten die Religionen lange friedlich nebeneinander. Das änderte sich in der Nachkriegszeit, als jüdische Soldaten gegen die Unabhängigkeitsbewegung eingesetzt wurden. Schließlich mussten algerische Franzosen Afrika verlassen und in Frankreich von vorn beginnen. All das gehört zum Roman und zu Valérie Zenattis Familiengeschichte, und es macht den Text dicht, authentisch und vor allem glaubwürdig.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (16.09.2017)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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