Das Dilemma
Dieses Vorwort führt ein in die Nöte der Protagonistin. Sie ist 29 Jahre alt – und in Algerien muss Frau oder Mann bis zum 30. Lebensjahr verheiratet sein. Das Stigma des Unverheiratetseins ist schier unerträglich und eine lebensbedrohende Not für die Protagonistin. In der Redaktion des Verlags, für den sie arbeitet, versucht sie das Dilemma vor ihren Kollegen zu verbergen.
So erzählt sie dort phantasievolle Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die sie mit allerlei feinem Witz ausschmückt und denkt: "Die Franzosen müssen nicht alles wissen". Die Sehnsucht, die sie als Algerierin hat, nach Selbstverwirklichung als Frau, mit Besitz und Wohlstand und Achtung als Mensch – die lässt sich nicht verwirklichen. Sie hat es in Frankreich vergleichsweise gut gegenüber ihren Landsleuten in Algerien.
Autobiografische Elemente
Der Plot ist natürlich autobiografisch gefärbt. Kaouther Adimi schildert eine Begegnung mit Menschen am Flughafen in Algier, die erkennen lässt, wie hoch die Würde des Einzelnen angesiedelt ist. Sie wagt es einem Polizisten ehrlich zu antworten auf dessen Frage, wie es ihr gehe; sie schildert, wie sie die Blicke "geiler" Männer verfolgen und wie sie die Bilder des Präsidenten, die sie überall begleiten, nicht ertragen kann. Die Reaktion kommt prompt: Der Polizist beauftragt eine Polizistin mit einer Leibesvisitation. Diese "Schlampe" – so Kaouther Adimi – greift ihr ungeniert an die Brust und in andere Regionen des Körpers und scheint sich dabei wohl zu fühlen.
Auf die Frage einer Frau aus dem Publikum, ob das nur der Frau im Roman passiere oder ob das wirklich passiert sei, antwortet Frau Adimi, dass das leider sehr wohl die Realität und ihr so passiert sei.
Auf die Frage, wo sie ihre Bücher schreibt, antwortet Adimi: "In der Zurückgezogenheit meines Büros. Nur in dieser Stille kann ich konzentriert arbeiten."
Die Vorbilder
Ihre großen Literatur-Vorbilder sind Virginia Woolf und Samuel Beckett. Der Titel "Des pierres dans ma poche" wurde in Anlehnung an Virginia Woolfs Vita gewählt; diese hatte sich mit Steinen in ihrer Manteltasche als Ballast im Fluss ertränkt. Parallelen auch im Kampf einer Frau, die sich in einer Männergesellschaft und aus deren ökonomischer Abhängigkeit befreien wollte.
Regina Keil-Sagawe beschrieb ihre Diskussionen mit der Autorin bezüglich der Änderung des Titels von "Steine in der Tasche" zu "Steine in der Hand". Sie machte der Autorin bewusst, dass "Steine in der Tasche" in der Deutschen Sprache nicht eindeutig beschreiben, was für eine Art Tasche gemeint sei. So könne die Hand, die mit den Steinen spielt, dies in einer Tasche tun.
Von Art.ur
Über die Autorin
- Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris.
- Ihr erster Roman, "Des Ballerines de papicha", erschien 2010 in Algerien und wurde 2011 unter dem Titel "L’Envers des autres" auch beim französischen Verlag "Actes Sud" aufgelegt; die Autorin wurde dafür mit dem "Prix littéraire de la vocation" und dem "Prix littéraire de l’Association France-Algérie" ausgezeichnet.
- Inzwischen hat Kaouther Adimi ihren dritten Roman veröffentlicht.