Bad Berleburg. Eine feste Heimat, die vermisst Autorin Valérie Zenatti. Als sie hörte, wo Otto Marburger, Ehrenvorsitzender der Kulturgemeinde, wohnt, da war sie fasziniert. "Er hat erzählt, er wohne in dem Haus, wo er geboren wurde", beschreibt Zenatti bei der ersten Lesung des Literaturpflasters 2017. "Von meiner Familie mussten alle ihre Heimat verlassen."
"Von meiner Familie mussten alle ihre Heimat verlassen."
Valérie Zenatti, verarbeitet in "Jacob, Jacob" ihre Lebensgeschichte
Die jüdische Französin aus algerischem Elternhaus pendelte in ihrem Leben zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen – fand aber nie die eine Identität. "Ich spürte schon als Kind, dass ich ein Puzzle aus verschiedenen Geschichten bin", erzählte die Autorin. Ihre Gefühle verarbeitet sie im Roman "Jacob, Jacob". Mehrere Passagen des Werkes las Zenatti am Donnerstagabend auf Französisch vor, übersetzt und moderiert von Lektorin Patricia Klobusiczky.
Geschichte des Großonkels
Knapp 50 Gäste lauschten der bewegten Geschichte von Jacob Melki, dem Großonkel Zenattis. Als 19-jähriger Sohn einer armen jüdischen Schusterfamilie aus Algerien wird er 1944 von der französischen Kolonialmacht einberufen, um gegen Nazi-Deutschland in den Krieg zu ziehen. "Er war hochbegabt, aber die zerstörerische Kraft des Krieges veränderte alles", erläuterte Moderatorin Klobusiczky. Sie hat den französischen Roman "Jacob, Jacob" bis zur Veröffentlichung in Deutschland begleitet.
"Es gibt viele schlechte Bücher, die man nicht übersetzen muss – aber dieses Buch ist etwas besonderes", schwärmte Klobusiczky vor dem Publikum im Autohaus Kroh. Der Schauplatz zwischen Reifenstapel und Neuwagen-Geruch gehört traditionell zum Literaturpflaster und hüllte die Lesung in eine besondere Atmosphäre, fern von Bücherregal und Ohrensessel.
Sowohl für Valérie Zenatti als auch für die Berlinerin Patricia Klobusiczky war diese Atmosphäre neu, waren beide doch erstmalig in Berleburg zu Gast. Für Zenatti war es zugleich die erste Lesung in Deutschland überhaupt.
Nach rund einer Stunde öffnete sich das Feld für Fragen aus dem Zuhörerraum.
Eine Frage hob die Moderatorin besonders hervor, die den Blick auf das bis heute angespannte Verhältnis zwischen Algeriern und der früheren Kolonialmacht lenkte. Wie wurde der Roman in Frankreich aufgenommen?
Die Antwort fiel deutlich aus: So habe das Buch für großes Echo gesorgt, viele Buchhändler seien schon vom Vorexemplar begeistert gewesen. "Wenn es uns damit gelingt, Gold auf die Wunden zu legen, wäre das großartig", hofft Zenatti, mit ihrem Werk einen Beitrag zur Versöhnung geleistet zu haben.
Beim Literaturpflaster gab die Autorin, die aktuell in Paris wohnt, aber auch Einblicke in eine andere Stimmung preis. So hätten sie die Terrorangriffe auf Paris und Nizza verändert. "Ich habe durch die Anschläge gelernt, wie verletzlich das Leben ist", erläutert Zenatti – und bleibt doch zuversichtlich: "Damals wäre es unvorstellbar gewesen, dass ich in Deutschland ein Buch über einen Juden vorstellen kann", so Zenatti.
"Aber auf lange Sicht gibt es in der Historie immer helle Momente, gerade mit Blick auf die Historie Europas."
Von Marcel Krombusch