Bad Berleburg. (schn) Zum Abschluss des 24. Literaturpflasters hatte sich noch einmal hoher Besuch in Bad Berleburg eingefunden. Generalkonsul Vincent Muller legte am Donnerstag einen interessanten und kurzweiligen Parforceritt durch die historischen Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen hin. Und damit war er schon mitten im Thema. Beide Kulturräume haben sich immer wieder gegenseitig befruchtet, was sich in Kunst, Architektur und Sprache an vielen Stellen widerspiegelt. An der Art und Weise, wie Vincent Muller durch den Abend führte, wurde eines deutlich: Er ist überzeugter Europäer.
Die Idee eines gemeinsamen Europas ohne Grenzen ist nicht neu, das wurde aus den Worten Mullers sichtbar. Im Kern haben die beiden Nationen im Herzen des Kontinents eine größere gemeinsame als getrennte Geschichte. Zu Zeiten, als es noch Nationen und Staaten im modernen Sinn gab, beginnt die Geschichte des gegenseitigen Austauschs. Als der fränkische Heerführer Chlodwig die Alemannen besiegt, können die Franken Gallien besetzen. "Hätte Chlodwig diese Schlacht nicht gewonnen, dann wäre Deutschland heute Frankreich und Frankreich wäre Allemagne", so Muller zu den historischen Ereignissen. Als das Reich Karls des Großen zerfällt, sind sich "Franzosen" und "Deutsche" einig gegen den dritten Sohn Lothar. Aus dieser Zeit stammt auch die Tradition, diplomatische Erklärungen mehrsprachig zu verfassen. Die Straßburger Eide, das Bündnis gegen Lothar, wurde in Altfranzösisch und Althochdeutsch verfasst.
Das Mittelalter brachte verschiedene Königreiche und Territorien, vor allem aber definierte sich der Kontinent über die Religion, die allen gemeinsam war. Als Christenmenschen arbeiteten Steinmetze und Bildhauer, Glaskünstler und Architekten an den verschiedenen Kathedralen Europas. Die Gotik war der europäische Baustil, der sich noch heute finden lässt. Die Großbaustellen dieser Zeit hatten sicher etwas vom babylonischen Sprachgewirr, dennoch funktionierten sie. Eine Zäsur stellte die Reformation dar. Das französische Königreich setzte auf die Duldung der Protestanten im katholischen Königreich – auch eine Folge der Zentralisierung des Staates. Deutschland geht einen anderen Weg. Die föderale Struktur des Reiches zeigt sich auch in der Religion. Die Landesherren bestimmen den Glauben. Als Ludwig XIV. gegen die Hugenotten vorgeht, muss Frankreich einen großen Aderlass hinnehmen, viele Vertriebene gehen ins aufstrebende Preußen und sorgen für einen Wissens- und Sprachtransfer.
Nicht nur als Sprache des Adels und der Diplomaten sind viele frankophone Begriffe in die deutsche Sprache gelangt. Auch das folgende Zeitalter der Aufklärung bezeichnete Vincent Muller als ein europäisches. Die Philosophen in Deutschland und Frankreich gaben sich gegenseitig Anstöße und befeuerten die Ideen von Freiheit und individuellen Rechten. Schon vor der französischen Revolution war Frankreich zu einem Vorbild für Deutschland geworden, in Kultur, Politik und Staatlichkeit. Parallel fand ein intensiver Austausch in der Bildung, den Universitäten und der Kunst statt. Mit Napoleon änderte sich fast alles. Die Befreiungskriege waren nicht nur die Geburtsstunde des deutschen Nationalbewusstseins, sondern auch die Idee, dass die deutsche Kulturnation auf Augenhöhe mit Frankreich stand. Der Krieg von 1870 und die Zeit der Weltkriege brachten die Zeit des Nationalismus auf beide Seiten, mit den bekannten Folgen.
Adenauer, Schumann, de Gaulle, Schmidt, Giscard d’Estaing, Mitterrand und Kohl trieben in der Folge das europäische Projekt voran. Aus seiner Sicht gebe es keine grenzüberschreitende Zusammenarbeit mehr, nur noch regionale Integration, so Vincent Muller mit deutlichen Worten. Grenzen seien den Menschen immer weniger wichtig, ist er überzeugt, zumindest so lange es die Grenzen im Herzen des Kontinents sind. Und der Generalkonsul ist ebenso sicher, dass der europäische Bundesstaat vor allem eine Frage der Zeit ist. Die Schaffung von gemeinsamen Kompetenzen zum Vorteil derer, die mitmachen wollen, werde auch die überzeugen, die zu Beginn nicht mit im Boot seien. Die Zukunft ist für ihn auf jeden Fall europäisch. "Ein Europa als Bundesstaat mit den unterschiedlichen Nationalitäten im Inneren", so Vincent Muller. Es war ein würdiger Abschluss des Literaturpflasters.
Von Guido Schneider