Bad Berleburg. (akm) Welch großartige Schriftsteller Island zu bieten hat, davon können sich Lesefreunde spätestens bei der Frankfurter Buchmesse überzeugen, auf der der Inselstaat im hohen Norden Europas Ehrengastland ist. Auch die Wittgensteiner konnten sich in den vergangenen Wochen, wie berichtet, bei einer Reihe von Lesungen isländischer Autoren im Rahmen des Bad Berleburger Literaturpflasters ein Bild von der vielfältigen Literaturlandschaft machen.
Dass die isländische Filmindustrie aber mindestens genauso viele Überraschungen bereit hält wie die Bücherbranche, erfuhren einige wenige Neugierige am Freitag, als das Capitol-Kino die Satire "101 Reykjavik" zeigte. Die Handlung ist ebenso einfach wie genial: Hlynur (Hilmir Snær Gunason), der Antiheld dieser rabenschwarzen Komödie, ist ein Totalversager Ende 20, der seit Jahren im Körper seines kindlichen Ichs feststeckt. Natürlich lebt Hlynur bei seiner Mutter, die sogar die Unterhosen für ihn kauft, und natürlich hat Hlynur keine Lust auf Arbeit.
Sein Lebensinhalt besteht aus seinem PC, jeder Menge Alkohol und noch mehr Pornofilmen. Als die Spanierin Lola (Victoria Abril), eine Freundin seiner Mutter, aufkreuzt, um die Weihnachtsfeiertage in der arktischen Kälte zu verbringen, gerät der geordnet chaotische Alltag des Sozialverweigerers gehörig ins Wanken, denn: Lola ist nicht nur eine Freundin seiner Mutter, sondern die Freundin. Und als ob das Lesbenouting der Mama nicht schon genug Wirbel in seine Identitätskrise bringen würde, trägt Hlynurs neue Bekanntschaft mit der rassigen Südländerin neun Monate später auch noch unerwartete Früchte.
"101 Reykjavik" ist eine schräge Slacker-Komödie, die in schlichten Bildern eine Dreiecksbeziehung der ganz besonderen Art einfängt, wie man sie so noch nicht gesehen hat und die dabei einen satirischen Blick auf das unbekannte, isländische Leben riskiert. Und die genau deshalb so bizarr und gewöhnungsbedürftig erscheint. Der Film von Baltasar Kormákur basiert auf dem Roman von Hallgrimur Helgason.
Die Adaption seines Werkes, die einige wichtige Preise gewann, verhalf dem Schriftsteller vor rund zehn Jahren zum internationalen Durchbruch. Acht Romane sind von Helgason inzwischen in Island erschienen, fünf davon wurden ins Deutsche übersetzt. Am Abend zuvor hatte der Autor eine Lesung seines neuesten Buches "Eine Frau bei 1000 Grad" in der Backstube des Café Wahl abgehalten (SZ berichtete).
Rikarde Riedesel freute sich sehr, dass erneut eine Literaturpflaster-Filmvorführung stattfand. "Es passt einfach sehr gut, da der Autor ja nur einen Tag zuvor hier war. Ich bin sehr gespannt auf die Umsetzung", verriet die Stadtkustodin vor der Vorführung. Auch Bernd Womelsdorf vom Capitol-Kino war glücklich, wieder seinen Teil zum diesjährigen Literaturpflaster beitragen zu können. Von Rikarde Riedesel nahm er vor Beginn der Vorstellung den Literaturpflasterstein entgegen.
Von Ann Kathrin Müsse