Bad Berleburg. (vg) Ein weiterer Höhepunkt der Bad Berleburger Reihe "Literaturpflaster: Island" erwartete jetzt ein vielköpfiges Publikum in der Berleburger Kur-Apotheke Karsten Wolter: Am Dienstagabend war niemand Geringeres als Halldór Gudmundsson, der Direktor von "Sagenhaftes Island" bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, in die Odebornstadt gekommen, um mit seinem lebendigen und versierten Vortrag "Am liebsten fliege ich nachts" großes Interesse für die isländische Literatur zu wecken. Bereits seit dem Mittelalter hätten es die Isländer sehr gut verstanden, Fiktionen zu verkaufen, begann der Literaturwissenschaftler, Autor und langjährige Verleger. "So war beispielsweise im Spätmittelalter das Horn des Fabeltiers Einhorn das Begehrteste, was man überhaupt erwerben konnte." Die Isländer hätten die Nachfrage entsprechend bedient, indem sie einfach den gewundenen Zahn des Narwals als entsprechendes Horn anboten. Bereits im 13. Jahrhundert hätten sich schriftliche Überlieferungen in Island gehäuft, bekannteste Quellen seien beispielsweise der Codex Regius oder die Edda, Schriften, die die Zeit von der Landnahme Islands im 9. Jahrhundert bis zum 11. Jahrhundert beleuchten.
Aus heutiger Sicht sei es faszinierend zu sehen, wie ein Volk wie die Isländer, das sich ab dem 13. Jahrhundert ständig im Bürgerkrieg befunden hat, dennoch die Kraft aufbot, sich dem Schreiben zu widmen. "Denn dieses Schreiben war seinerzeit eine komplizierte und auch kostspielige Angelegenheit, wenn man nur bedenkt, dass für ein Buch mitunter 100 Kälber verwendet werden mussten."
Es habe in Island keine Tradition der Musik gegeben, aber eben eine Tradition der Erzählkunst. "Daher sind die Isländer auch das einzige Volk, das seine Geschichte von Anfang an kennt." Der Wechsel von einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft zu einer modernen sei in Island schließlich sehr schnell erfolgt. "Was in benachbarten Ländern auf dem Festland mehrere hundert Jahre andauerte, verlief hier in knapp 50 Jahren." Gesellschaftliche Fragen und Diskussionen um das isländische Selbstbewusstsein seien schließlich immer auf dem Feld der Literatur ausgefochten worden. "Erst 1944 wurden wir eine Republik." Nach der frühen Blütezeit der isländischen Literatur im 13. und 14. Jahrhundert habe sich im 19. und 20. Jahrhundert schließlich eine zweite Hochphase eingestellt, die schließlich mit der Verleihung des Nobelpreises für Literatur an Halldór Laxness gekrönt wurde.
Schließlich bot der Vortragende seinem Publikum auch noch ein paar ausgewählte Kostproben isländischer Schriftsteller, angefangen mit Halldór Laxness’ "Das Volksbuch" über "Schwarze Vögel" von Gunnar Gunnarsson, das "Morgengebet" von Thor Vilhjálmsson, "Versöhnung und Groll" von Einar Kárason oder "Das Gleißen der Nacht" von Sjón.
Er legte seinem Publikum den "Guten Liebhaber" von Steinunn Sigurdardottir ebenso ans Herz wie den "Geisterfjord" von Ysra Sigurdardottir und ließ dabei auch Jón Kalaman Stefánssons "Der Schmerz der Engel" (Jón Kalaman Stefánsson wird heute auf der Göteborger Buchmesse mit dem Per-Olov-Enquist-Preis 2011 ausgezeichnet) oder "Punkt, Punkt, Komma, Strich" von Pétur Gunnarsson nicht aus.
Die Idee, einen solchen Abend in eine Apotheke zu verlegen, nehme er übrigens gerne als Anregung in seine Heimat mit. Denn gerade den Isländern sei die heilende Kraft der Literatur sehr wohl bekannt. "Literaturpflasterin" Rikarde Riedesel gratulierte Halldór Gudmundsson schließlich zum gelungenen und äußerst spannenden Vortrag und überreichte ihm und Karsten Wolter von der Kur-Apotheke einen Literatur-Pflasterstein.
Nathalie Posern, Pharmazeutisch-Technische Assistentin in der Ausbildung, bereicherte den Abend mit einem Vortrag über die Wirkung des Naturheilmittels Isländisches Moos. Im Anschluss bestand die Möglichkeit, in Werken isländischer Literatur zu schmökern.
Von Dr. Volker Gastreich