Viktor Arnar Ingólfsson
und Óttar Martin Nordfjörd lasen
vor 120 Zuhörern im Saal des Amtsgerichts

Ein ganz besonderer Nervenkitzel
Vor ihrem Auftritt bei der Frankfurter Buchmesse
gastierten die beiden Autoren aus Island in der Odebornstadt.

Nach der Lesung signierten die Autoren gerne ihre Bücher. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)
120 Zuhörer waren 'Zeuge' der besonderen Berleburger Kriminacht. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)

Bad Berleburg. (vg) Es war ein durchaus ungewohnter Anblick, als sich am Dienstag zur Kriminacht im Rahmen des Berleburger Literaturpflasters Island der Saal des Berleburger Amtsgericht von Minute zu Minute mehr füllte. Am Ende waren ganze 120 Zuhörer der Einladung von Organisatorin Rikarde Riedesel hierher gefolgt und staunten ob der sonderbaren Atmosphäre nicht schlecht: Denn dort, auf den erhöhten Plätzen, wo sich sonst der Vorsitzende Richter und eine Gerichtsschreiberin niederlassen, lächelten jetzt die beiden Autoren Viktor Arnar Ingólfsson und Óttar Martin Nordfjörd ihrem Publikum entgegen. Zu ihnen hatten sich auch ihr Übersetzer und Moderator Hartmut Mittelstädt von der Universität Greifswald, Rikarde Riedesel und Monika Kuhli gesellt. Der Tisch des Staatsanwalts blieb für die Vertreter der Presse reserviert. Die Platz von Angeklagtem und Verteidigung sollte an diesem Abend nicht ohne Grund völlig unbesetzt bleiben.

Von den Zuschauer-Plätzen aus erlebte schließlich ein begeistertes Publikum die ungewöhnliche Lesung mit: Eine Kriminacht im Gerichtsaal. Ein spannendes Experiment, das schon gleich zu Beginn hervorragend funktionierte.

Nach einleitenden Worten von Rikarde Riedesel, die sich ungemein über den großen Zuspruch freute, stellte Viktor Arnar Ingólfsson seinen 2002 erschienenen Krimi "Das Rätsel von Flatey" dem Publikum näher vor. Die Idee, einen Krimi auf der isländischen Insel Flatey spielen zu lassen, habe ihn seinerzeit bei einem Strandspaziergang ereilt, erzählte er. "Unmittelbar nach der Wanderung schrieb ich erste Gedanken auf einem Zettel auf." Flatey selbst sei ihm aus seinen Kindheits- und Jugendtagen noch sehr präsent. "Denn gerade in den Ferien habe ich dort immer meine Großeltern besucht." Er erinnerte sich weiter an die Einsamkeit auf der Insel, an das Urige, das Bodenständige, an die Gewissheit, dass hier, auf Flatey, die Zeit auf wundersame Weise stehen geblieben sei.

Aufmerksam lauschte das Publikum der Lesung im Gerichtssaal. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)

Hier sollte sein Krimi spielen, in dem neben einem seltsamen Mord auch die besondere mittelalterliche "Handschrift von Flatey" Einfluss auf den weiteren Verlauf der Geschichte hat. In einer anschließenden Lesung, die der Autor selbst zunächst in isländischer Sprache hielt, ehe Monika Kuhli die deutsche Übersetzung las, nahmen die beiden das Publikum schließlich in einer spannenden Anfangszene auf eine turbulente Reise mit, weit hinaus auf das wogende Meer vor Island: Und schon waren die Bilder im Kopf lebendig: "Ein scharfer Ostwind blies in der Morgenfrühe über die weite Bucht des Breidafjördur und wühlte das Meer zwischen den westlichen Inseln zu weiß schäumenden Kämmen auf", hieß es. "Ein kleines, aber stabiles Motorboot schlingerte auf den eiligen Wellen. Drei Menschen befanden sich in dem Boot, ein kleiner Junge, ein Mann mittleren Alters und einer, der sichtlich älter war. Der Älteste hieß Jóhn Ferdinand. Er saß am Heck und steuerte das Boot. Weiße Bartstoppeln standen in einem zerfurchten Antlitz, und aus den weiten Nasenlöchern rannen schwarze Schnupftabaksstriemen." Das Publikum wurde schließlich Zeuge, wie die drei Isländer mit dem Boot anlegten und bald darauf einen seltsamen Fund in den Felsen machten: eine Leiche im grünen Anorak.

Im Mittelpunkt standen dabei 'Das Sonnenkreuz' und 'Das Rätsel von Flatey'. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)
Monika Kuhli (r.) las die deutschen Übersetzungen. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)

Nach diesem gelungenen Auftakt, sollte der zweite Krimi-Autor Óttar Martin Nordfjörd in seinem Vortrag die Spannung im Saal noch weiter anstacheln. Er gab ebenfalls eine Anfangsszene aus seinem Roman "Das Sonnekreuz" auf Isländisch zum besten und wurde dabei von Monika Kuhli auf deutsch begleitet.

Ein Mord ist geschehen, eine äußerst gewaltsame Tat im Arbeitszimmer eines namhaften Archäologen. Dann plötzlich folgt ein Schnitt in der Geschichte: Und mit einem Mal fanden sich alle Zuhörer in der Vergangenheit wieder: "Vor 1.000 Jahren: Die Sonne blinzelte über den schneeweißen Gletscher und beschien Lachs-Ketills abgemagertes Gesicht. Wieder einmal erhob sie sich über diesem abgelegenen Eiland hoch im Norden. Zwei Winter hatte Ketill hier zusammen mit seiner Frau Ingunn und seiner Schiffsbesatzung zugebracht. Obwohl er seine Heimat im norwegischen Naumudalur vermisste, wusste Ketill, dass er niemals mehr zurückkehren konnte. Die Bewohner im Haupthaus des Gehöfts waren an diesem Morgen in aller Frühe erwacht, denn der heutige Tag war ein besonderer. Heute sollte der Grundstein zu ihrem Tempel gelegt werden. Zu diesem Anlass trugen die Männer volle Kampfausrüstung, die Frauen waren in bunte Kleider und Umhänge gehüllt und schmückten sich mit Perlenketten und Broschen."

Nach diesem Ausflug in die Winkingerzeit holte Óttar Martin Nordfjörd sein Publikum schon bald wieder in die Realität des Gerichtssaals zurück. Die Idee, einen Krimi vor dem Hintergrund der Geschichte zu schreiben, sei ihm damals in Spanien gekommen, berichtete er. "Ich sah auf einer Zeitschrift das Bild einer Wikinger-Statue aus meiner Heimatstadt Reykjavik", erinnerte er sich weiter. "Früher war ich an der Statue immer Tag für Tag vorbei gelaufen, ohne mir etwas dabei zu denken. Jetzt aber, als ich aus der Ferne diese Statue auf der Zeitschrift wiedersah, war das plötzlich etwas anderes." Sofort wälzte er Bücher über die Wikingerzeit, beschäftigte sich mit Mythen und religiösen Zusammenhängen. Heraus kam schließlich ein Krimi, der zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her schwenkt, in der Ritualmorde sonderbare Rätsel aufgeben und in der ein uralter Wikingerbund zu neuem Leben erwacht.

Ihn habe bei der Geschichte vor allem gereizt, ein Thema anzupacken, was voller Konfliktpotential stecke. Denn bei seiner Recherche stieß er auf eine wissenschaftliche Theorie, die die Ursprünge Islands als völlig andere annimmt als die bisherige, anerkannte Geschichtsschreibung. "Und diese neue Theorie ist in Island überaus verpönt." Daraus entwickelte er schließlich seinen Thriller.

Von all diesen äußerst spannenden Gedanken angespornt, entwickelte sich bei der Berleburger Kriminacht schließlich ein lebendiges Gespräch zwischen Autoren und Publikum, nach dem die beiden Gäste aus Island gerne ihre Bücher signierten. Monika Kuhli überreichte ihnen daraufhin den Literaturpflaster-Stein als Andenken an einen ganz besonderen Abend im Gericht, der allen Beteiligten noch lange in guter Erinnerung bleiben wird. Mittlerweile ist das Autorenteam schon wieder unterwegs und wird auch noch auf der Frankfurter Buchmesse aus seinen Krimis lesen - aus sonderbaren Geschichten aus dem "Land des Eises" und mit spannenden Vorstellungen aus einer längst vergessenen Zeit, der Zeit der Wikinger.

Von Dr. Volker Gastreich


Siegener Zeitung (21.09.2011)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Fotos (5) von Dr. Volker Gastreich (vg)

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