Bad Berleburg. (cs) Yrsa Sigurðardóttir lebt beruflich zwischen Ingenieurwesen, Kinderbuch, Thriller und Krimi. Eine abenteuerliche Konstellation, und dennoch gut vereinbar mit ihrem Privatleben mit Ehemann und zwei Kindern in der Nähe von Reykjavik.
101 Stühle hatte Schlossschänken-Gastwirt Christoph Haupt gestellt, weil er schon im Vorfeld eine große Publikumsschar erwartete, doch die reichten bei weitem nicht aus für die große Fangemeinde der isländischen Krimikönigin in Berleburg.
Die inzwischen weit über isländische Grenzen bekannte Krimiautorin schreibt bevorzugt in einer kleinen Hütte, fernab der Stadt. Hier findet sie die Ruhe und auch die Anreize für ihre teils sehr verwegenen Romaninhalte. An der Stelle lässt die Autorin kuriose Information aus Island einfließen, die im Publikum für einige Lacher sorgt: Isländer sind eine Lese- und Autorennation. Teils liegt es daran, dass es bis in die 1980-er kein Donnerstagsfernsehprogramm gab und auch die Nation im gesamten Juli ohne Flimmerkiste auskommen musste, und so beschäftigt sich der Isländer sehr viel mit Literatur.
Yrsa Sigurðardóttir unterscheidet streng beim Aufbau ihrer Werke. Ein Krimi enthält zunächst das Verbrechen und Polizei, Staatsanwaltschaft und Psychologen in Kooperation suchen akribisch nach dem oder den Tätern. Im Kontrast dazu entstehen ihre Thriller. Die Spannung steigt von Element zu Element und lässt so ganz langsam, aber nicht immer behutsam, das Blut des Lesers in den Adern gefrieren. Die Autorin nimmt bisweilen in ihren Horrorszenarios völlig authentische Materialien zur Hilfe, Inhalte aus Schreckensmeldungen der Realität, die sie als grausames Detail verwendet.
"Geisterfjord" ist ihr neuester Thriller. In Berleburg hätte man eine Stecknadel fallen hören können, als Monika Kuhli die deutsche Übersetzung der Einzelabschnitte las.
Drei junge Menschen machen sich auf dem Wasserweg auf zu einem kleinen verwunschenen Ort, in dem es laut Aussage ehemaliger Bewohner nicht mit rechten Dingen zugehen soll. Besonders ein Haus sei behaftet von unerklärlichem Spuk. Doch gerade dorthin zieht es die drei, um aus dem Haus ein bewohnbares Feriendomizil zu schaffen. Parallel lässt die Autorin an einem anderen Ort die Polizistin Dagný und den Psychologen Freyr düstere Todesfälle bearbeiten. Hier geht sie akribisch psychologisch vor und macht diesen Romanabschnitt zur Analyse, warum Menschen töten und welch tiefe Beweggründe die menschliche Angst hier spielt. Freyrs Sohn Benny verschwand vor geraumer Zeit spurlos, was seine Ex-Frau an den Rand der Verzweiflung brachte, in ihrer seelischen Not wendet sie sich telefonisch immer wieder an Freyr, der diese Gespräche als puren Terror empfindet. Yrsa Sigurðardóttir lässt einen echten Vermisstenfall zweier isländischer Kinder einfließen, der die Menschen auf der Insel sehr nachdenklich stimmte, da die beiden Kinder nie wieder gefunden wurden, weder lebendig noch tot.
Mit Büchern für den eigenen Sohn fing alles an
Der Sprung zurück zu den drei Bau-Abenteurern im Dorf bringt die Spannung auf den Höhepunkt, als alle drei während einer nächtlichen Dorfinspektion eine Kindergestalt in Regenmantel mit Kapuze entdecken. "Islands Königin des Spannungsromans", wie Yrsa Sigurðardóttir von ihren Landsleuten genannt wird, lässt durch Moderatorin Rikarde Riedesel (Stadt Bad Berleburg) hier einen inhaltlichen Schnitt machen, die Spannung unter den Zuhörern war enorm, und den Bogen sollten die Leser schon noch zu Hause mit dem Roman selbst bekommen.
Doch wie kommt eigentlich eine Ingenieurin und Krimiautorin zum Schreiben von Kinderbüchern? Yrsa Sigurðardóttir lebte in den 1990ern mit ihrer Familie aus Studiengründen in Kanada. Ihr damals achtjähriger Sohn, ein lesefreudiges Kind, sollte nicht nur problembehaftete skandinavische Kinderbücher lesen, in denen Eltern Alkoholiker sind und der Drogenkonsum sehr nahe liegt. Vielmehr begab sie sich auf eigene Pfade.
"Die IQ Kids" stellte sie nun 150 Viertklässlern der Grundschulen Elsoff, Dotzlar, der Burgfeldschule und den Klassen fünf des Johannes-Althusius-Gymnasiums in der Aula des JAG vor. Die waren völlig fasziniert, eine echte Autorin kennenzulernen, die auch noch selbst liest und ihnen die ominösesten Fragen zu ihrer Arbeit beantwortet. Für die Verwechslungsgeschichte von blauen Briefen und Einladungen zu Ferienseminaren für hochbegabte Kinder in Island wurde Yrsa Sigurðardóttir mit dem "Icelandic Children's Book Award 2003" ausgezeichnet, was für die großartige Qualität spricht und was die Neugier der Kinder in Berleburg auf das Lesen des gesamten Romans beflügelt. Diese Lesung war übrigens die einzige Jugendlesung, die auf dem Islandsektor der Frankfurter Buchmesse stattfindet oder stattgefunden hat.
Von Christiane Sandkuhl