Thomas Heerma van Voss stellte zum Schluss des Literaturpflasters seinen Roman "Stern geht" vor

Man will immer weiterlesen

Thomas Heerma van Voss (l.) im Gespräch mit Übersetzer Ulrich Faure. (SZ-Foto: Guido Schneider)

Bad Berleburg. (schn) Thomas Heerma van Voss ist 26 Jahre alt und doch schon einer der renommiertesten Autoren in den Niederlanden. Zwei der größten Tageszeitungen bezeichnen den jungen Autor als das "literarische Talent 2016". Doch diese Bezeichnung schmeckt Thomas Heerma van Voss nicht so recht, denn Talente beobachtet man erst und schaut, wie sich das Talent entwickelt.

Dass Heerma van Voss Talent hat, muss wohl nicht diskutiert werden. Am Montag gastierte er als letzter Autor des Literaturpflasters 2016 im Ejot-Labor in Bad Berleburg. Mit dabei sein Übersetzer Ulrich Faure, der charmant und informativ durch den Abend führte und als Moderator eine gute Figur machte.

"Das Beste hebt man sich eben bis zum Schluss auf", sagte Faure gleich zu Beginn des Abends. Im Gepäck hatten Thomas Heerma van Voss und Ulrich Faure "Stern geht", den zweite Roman des jungen Autors und in den Augen vieler Kritiker ein Stück große Literatur. "Ich habe zwei Kapitel gelesen und wusste, der Roman muss übersetzt werden", sagte Faure und meinte das nicht nur als Werbebotschaft.

Seit dem Tag, an dem Hugo Stern in den Vorruhestand geschickt wird, ist nichts mehr, wie es war. Unaufhaltsam entgleitet ihm sein bisher so idyllisches Leben als Grundschullehrer in Amsterdam. Seiner Arbeit geht er pedantisch nach, legt Akten über seine Schüler an und kennt nicht viel mehr als die Arbeit. Stern denkt zurück an seine Kindheit in dörflicher Enge, an seine Jugend im London der Swinging Sixties, die ihm auch nicht die erhoffte Freiheit gebracht hat, und an die Liebe zu seiner Frau Merel, die sich von ihm mehr und mehr entfremdet. Hugo Sterns letzter Halt ist der unter großen Mühen im Ausland adoptierte Sohn Bram, und auch dieser droht ihm zu entwachsen. Der Schulabschluss steht kurz bevor, und Bram nabelt sich langsam ab.

Die Veränderungen in seiner Familie und die gesellschaftlichen Umbrüche stellen Stern auf eine harte Probe. So fährt Stern Bram zu einer Strandparty, doch dann kann er sich nicht von seinem Sohn lösen, bleibt die ganze Zeit in der Nähe, übernachtet sogar im Hotel. Der Sohn aber ist selbstständig genug, die langweilige Party früh zu verlassen und ganz selbstständig nach Hause zu fahren. Er verblüfft seine Umgebung mit seinem kompromisslosen Wesen und bringt sich dabei selbst in Schwierigkeiten. Thomas Heerma van Voss hat eine außergewöhnliche Vater-Sohn-Geschichte geschrieben, die nicht in die Generationenliteratur abgleitet. Es geht nicht um den Konflikt zwischen den Generationen, sondern im Zentrum steht Stern, ein ganz eigenwilliger Charakter.

Auf 272 Seiten entwirft der Autor eine feinsinnige Charakterstudie, die sich im ersten Entwurf noch ganz anders darstellte. Zuerst umfasste der Roman rund 450 Seiten, und Heerma van Voss nahm sich zwei Jahre Zeit zu kürzen und zu verändern. Aus dem Loser Stern wurde ein Charakter, den man als Leser wachrütteln will, den man in die Realität zerren will, der sich aber sperrt, der in seiner kleinen Welt hängen bleibt. "Nach den ersten zwei Kapiteln will man immer weiterlesen. Das ist das größte Kompliment, das man einem Buch machen kann", befand Ulrich Faure.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (03.11.2016)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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