Bad Berleburg. Beim Berleburger Literaturpflaster zeigen Illustratoren lebensfrohe Wimmelbilder, düstere Freundschaften und eine ungewisse Zukunft.
Er hält ein blaues Löschpapier in die Höhe. Darauf eine waagerechte Linie, die mit einem schwarzen Filzstift Freihand gezogen wurde. "Ich nenne diese Zeichnung ‘geteilter Horizont’, unten das Meer, oben der Himmel", sagt Bart Moeyaert. Er schaut von seinem Rednerpult auf, das Publikum lacht über seine kindliche Zeichnung und seinen trockenen Humor.
"Dies ist, was wir teilen" – mit diesem Leitspruch präsentieren sich die Niederlande und Flandern als Ehrengast der diesjährigen Frankfurter Buchmesse und dem Berleburger Literaturpflaster. Aber was teilen sie sich eigentlich, und was verbindet sie mit Deutschland? Bart Moeyaerts Antwort: die Nordsee. Und das ist nicht nur geografisch zu verstehen. "Denn das Meer ist meine Seele", schrieb schon Heinrich Heine. Hinter jedem Horizont stecke etwas Neues – "und ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entdecken dieser neuen Horizonte", schließt Moeyaert seine poetische Einleitung. Einige Sekunden lang ist es still. Spürbare Ergriffenheit statt Belustigung.
Bart Moeyaert ist Künstlerischer Intendant des Gastlandauftritts und wurde als Autor selbst mehrfach ausgezeichnet für seine Kinder- und Jugendbücher. Bei der Ausstellung "Phantasie und Geschichte" in der Berleburger Sparkasse geht es in erster Linie nicht um Literatur – aber auch die Illustrationen der niederländischen und flämischen Künstler können umfangreiche Geschichten erzählen. Besucher müssen sie nur entdecken.
Charlotte Dematons
Ein farbenfrohes Tulpenfeld, eine Windmühle in verträumter Landschaft oder Kinder, die auf dem zugefrorenen See Schlittschuh laufen – Charlotte Dematons Zeichnungen sind detailreich, ohne überladen zu wirken, und zeigen auf eindrucksvolle Weise, was das Leben in dem Nachbarland so besonders macht. "In diesen Bildern kann man stundenlang stöbern. Als meine Kinder noch klein waren, habe ich mit ihnen solche Wimmelbilder regelmäßig angeschaut", erinnert sich Rainer Gelies. Man verliere sich in den Bildern, entdecke immer mehr Kleinigkeiten und werde letztendlich selbst zum Geschichtenerzähler. Phantasie und Geschichte, ganz nah beieinander.
Ann De Bode
"Das Mädchen und der Soldat" basiert auf dem Buch von Aline Sax und handelt von der Freundschaft zwischen einem blinden Mädchen und einem schwarzen Soldaten während des Ersten Weltkrieges. Der Thematik entsprechend sind die Zeichnungen in düsterem Schwarz-Weiß gehalten, sie sind allesamt auf Pappkarton entstanden. "Ich habe dem Mädchen bewusst kein Gesicht gegeben, um so dem Beobachter Raum zu geben", sagt Ann De Bode bei der Vernissage. Jeder könne seine eigene Version erzählen, keine sei falsch – sie selbst habe nicht den Maßstab der Logik angelegt.
Peter Goes
Vom Urknall bis zu "Je suis Charlie" in 15 Bildern: Peter Goes reflektiert in seinem ambitionierten Illustrationsband "Die Zeitreise" die Geschichte der Welt. Über die Epoche der Dinosaurier, die großen menschlichen Zivilisationen, Könige und Ritter, Entdeckungen und Erfindungen – hin zu den aktuellen weltpolitischen Themen wie Flüchtlingskrise und Bedrohung durch den IS-Terrorismus. Beim letzten Bild konzentrieren sich Peter Goes Zeichnungen fast ausschließlich auf die linke Seite – die Freifläche lässt Raum für die ungewisse Zukunft. Interpretationen und Wünsche, Ungewissheit und Chancen. Alles dreht sich um Phantasie und Geschichte.
Von Britta Prasse