Bad Berleburg. Früher saßen Mama oder Papa an der Bettkante und haben eine Gute-Nacht-Geschichte aus dem Märchenbuch vorgelesen. Eine Welt voll mit verwunschenen Prinzen, bildhübschen Prinzessinnen, bösen Hexen und guten Feen – und natürlich dem romantischen Ideal der ewigen Liebe. Seit Jahren nimmt Märchenerzählerin Katja Heinzelmann ihr Publikum mit auf ihre fantasievollen Reisen. Im Rahmen des diesjährigen Berleburger Literaturpflasters geht es in die Niederlande und Flandern. Bei der Spurensuche im Nachbarland treffen Zuhörer auf Fabelwesen aus dem Meer, schlaue Bauern und einen geschlachteten Goldesel.
Keine Hintergründe
Liebesgeschichten zwischen schönen Prinzen und Prinzessinnen sind klischeehaft besonders bei Mädchen und Frauen beliebt – und auch beim Märchenabend am Dienstag im "Haus am Sähling" waren viele Frauen im Publikum. Einige bekannten sich als Wiederholungstäter, besuchen sie doch schon seit Jahren Katja Heinzelmanns Märchenvorträge. Ob es also an der vertrauten Atmosphäre innerhalb der kleinen Märchengemeinschaft lag oder daran, dass sich die niederländisch-flämische Literatur nicht grundlegend von der deutschen Literatur unterscheidet: Katja Heinzelmann verzichtete jedenfalls darauf, kulturhistorische Hintergründe zu den jeweiligen Erzählungen zu geben. Ihre Einleitung beschränkte sich darauf, dass ihr bei der Auswahl aufgefallen sei, dass einige Geschichten einen schwermütigen Klang hätten. Sieben Märchen stellte sie vor; aneinander gereiht, ohne jegliche Einordnung und ohne auch nur einen Märchentitel zu nennen. Nur der Applaus nach jeder fertig vorgetragenen Erzählung und eine kurze Atempause markierten die Übergänge zu einem neuen Märchen.
Meer als prägendes Element
"Denkend an Holland, seh ich breite Gewässer träg’ durch unendliches Flachland gehn (…) und in allen Provinzen wird die Stimme des Wassers mit seinem ewigen Unheil verflucht und gehört." – Kaum ein Gedicht ist in den Niederlanden so bekannt wie dieses Werk Hendrik Marsmans aus dem Jahr 1937 mit dem Titel "Herinnering aan Holland", zu Deutsch: "Erinnerung an Holland". Es zeigt, welche starke Rolle das Meer hier spielt. Das dürfte wohl ein Grund gewesen sein, warum sich Katja Heinzelmann für "Das singende Meerweibchen" entschieden hat. Diese Fabelfigur lockt die Tochter einer verwitweten Fischersfrau ins Meer. Um die Tochter zurück zu bekommen, muss die Fischersfrau aus ihrem eigenen Haar einen Mantel für die Meerfrau weben. Eine schwermütige Geschichte, von der Heinzelmann zu Anfang sprach.
Ein anderes Märchen erinnert stark an Grimms Aschenputtel: Ein armes Mädchen, das schwer schuften muss und später von einem schönen Prinzen gesucht wird; nicht per gläsernem Schuh, aber mit einem Ring, der seine Trägerin in eine strahlende Schönheit verwandelt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Katja Heinzelmann entführte die Zuhörer zu sieben verschiedenen Settings – von der mystischen Unterwasserwelt, über die karge Höhle, hin zu dem königlichen Palast. Das Publikum tauchte verträumt für kurze Zeit in eine märchenhafte Welt; um sich dann abrupt und ohne Überleitung in die nächste Fantasie zu stürzen.
Von Britta Prasse