Bad Berleburg. (schn) Es war einer der interessantesten Vorträge, die das Berleburger Literaturpflaster in den vergangenen Jahren erlebt hat. Zum Auftakt und als Impulsvortrag zur Lesereise in die Niederlande und nach Flandern gab es auch in diesem Jahr wieder "Literatur auf Rezept" in der Bad Berleburger Kur-Apotheke. Diesmal war es Prof. Dr. Jan Konst, Leiter des Instituts für deutsche und niederländische Philologie der FU Berlin, der unter dem Motto "Dit is wat we delen – Literatur aus Flandern und den Niederlanden zwischen 1993 und 2016" in die Literatur des Gastlandes einführte. Christoph Haupt, einer der Literaturpflaster-Planer, nannte den Referenten "genau den Richtigen, um uns einen Überblick zu verschaffen." Und genau das tat Jan Konst dann auch.
Mit seiner leichten, ironischen und schlagfertigen Art zeichnete der Philologe ein nicht immer ganz klares, aber umfassenden Panorama der Literatur unserer Nachbarn. Der niederländische Sprachraum erstreckt sich nicht nur über die Niederlande, sondern auch auf etwa die Hälfte Belgiens. Jan Konst beschrieb anschaulich die historischen Hintergründe und verwies auf die Teilung der einstmals spanischen Niederlande in einen katholischen und einen protestantischen Teil. "Wenn ich Texte aus Flandern lese, dann merke ich den Unterschied in der Sprache. Für einen Nord-Niederländer sind viele Worte und Ausdrücke ungewohnt, aber es ist eine Sprache", beschrieb Konst die Situation. Man müsse sich die Unterschiede etwa so vorstellen, wie die Unterschiede zwischen Hannoveraner Deutsch und Schweizer Deutsch. Auch das sei die gleiche Sprache, dennoch gebe es deutliche Unterschiede.
Mit diesen Hintergründen widmete sich Jan Konst der Entwicklung der niederländischen Literatur und ihrer Rezeption in Deutschland. Dabei lassen sich mehrere Phasen unterscheiden. Die erste Phase beginnt mit der Übersetzung flandrischer Heimatliteratur. In den 1920er- und 30er-Jahren habe diese Art der Literatur zur stärker werdenden nationalen und völkischen Gesinnung in Deutschland gepasst. "Die Bücher passten zur Ideologie der Nazis. Das war natürlich interessant und hat das Bild der Literatur in Deutschland lange geprägt", so Jan Konst.
Dieses Bild änderte sich erst 1993, als die Niederlande und Flandern zum ersten Mal Gastländer der Frankfurter Buchmesse waren. Inzwischen hatte sich in den Niederlanden eine Schule unter Schriftstellern etabliert, die stark von der Bewegung der 68er geprägt war. Besonders bekannt wurden Jan Wolkers und Gerard Reve, die mit provokanten und ironischen, zynischen Texten auf sich aufmerksam machten. Vor allem Reve provozierte mit homoerotischen Texten und durch sein Verhalten in der Öffentlichkeit. Nach 1993 wurden vor allem drei Autoren, Cees Nooteboom, Hugo Claus und Harry Mulisch, bekannt und prägten das Bild in Deutschland. Vor allem die "Berliner Notizen" überzeugten, mit seinen Beobachtungen zeichnete Nooteboom als erster ausländischer Autor ein Bild der Wendezeit in Berlin. Ein großes Thema war lange Zeit der Zweite Weltkrieg, der in vielen Facetten beleuchtet wurde. Seit dem ersten Auftritt in Frankfurt haben die niederländischen Autoren einen großen Markt erobert. Aktuell verarbeiten viele Autoren das Thema Migration und beleuchten das Phänomen der Zuwanderung. Auch mit dem Islam in der Gesellschaft setzen sich junge Schriftsteller vermehrt auseinander, teils kritisch bis überkritisch. Auch wenn Jan Konst lieber einen internationalen Blickwinkel auf die Literatur pflegt, so arbeitete er die Ironie und Überspitzungen als ein Merkmal niederländischer Literatur heraus. So wie etwa bei Aaron Grünberg in "Der jüdische Messias". Der Autor brennt darin ein Feuerwerk von Zynismen ab und beschreibt groteske Situationen.
Das Literaturpflaster, das Jan Konst schon jetzt begeistert, dürfte in diesem Jahr also sehr interessant werden.
Von Guido Schneider