Schöpferischer Prozess

Stian M. Landgaard und Karin Nohr lasen beim Literaturpflaster

Stian M. Landgaard und Karin Nohr stellten sich und ihre Literatur im Abenteuerdorf Wemlighausen vor. (SZ-Foto: Guido Schneider)

Wemlighausen. (schn) „So etwas hatten wir hier auch noch nicht“, sagte Ulla Belz, als sie am Vorabend des Tages der deutschen Einheit die nächste Lesung des Bad Berleburger Literaturpflasters 2019 im Abenteuerdorf Wittgenstein eröffnete. Zum einen waren gleich zwei Autoren gekommen, zum anderen las der eine von ihnen aus einem noch nicht veröffentlichten Manuskript, dessen Geschichte noch mitten in der Entstehung ist. Eine solche Lesung hat ihren besonderen Reiz, denn sie lässt auch in den schöpferischen Prozess blicken, erzählt davon, wie Buch entsteht und dass eine Geschichte nicht vom ersten Moment an festgelegt ist.

An den Tischen saßen Stian M. Landgaard und Karin Nohr. Der eine Norweger, die andere Deutsche. Letztere war mit ihrem neuesten Roman, „Kieloben“, nach Wemlighausen gekommen. Sie wagt sich darin an ein nicht unkritisches Thema, das der deutsch-norwegischen Geschichte, und widmet sich den sogenannten „Wehrmachtskindern“, die in der Zeit der deutschen Besatzung des Landes gezeugt wurden: Auch der Vater von Inga war als Marineoffizier in Norwegen stationiert und hat dort eine Tochter hinterlassen. Von der wissen Inga und ihre beiden älteren Brüder allerdings nichts, bis Inga in Norwegen Urlaub macht und sich an die alten Kriegsgeschichten ihres Vaters zu erinnern versucht.

Irgendwann schreibt sie ihre Brüder an, löst damit eine Recherche aus, und schließlich meldet sich Mette und will etwas über ihren Vater erfahren. Das stellt die ganze Familie auf die Probe, Inga steht vor einem Aufbruch in eine neue Zeit.

Stian Landgaard hatte das Manuskript für „Weiße Rose“ dabei: Samuel Jörgensen ist Schriftsteller in Tromsø, dort lebt er mit seiner Frau. Er leidet unter einer gehörigen Schreibblockade. Seit seinem Debütroman hat Samuel nichts Brauchbares zustande gebracht. Dann trifft er bei einem Konzert Lilly, eine Pianistin, die ihr Gesangsstudium abgebrochen hat. Sie fasziniert ihn, und es beginnt sich ein feines Beziehungsgespinst zu entwickeln. Wie es ausgeht, das schien für Landgaard selbst noch offen.

Der norwegische Autor schafft es, seine Bilder in einer Wolke aus detailreichen Beschreibungen zu malen. Dabei verliert er nie die Balance zwischen nötigen Informationen und der Freiheit des Lesers, sich Orte und Menschen vorzustellen. Das schafft er sowohl auf Deutsch wie auf Norwegisch. Aktuell ist keine Übersetzung von „Weiße Rose“ geplant, auch wenn ein deutscher Verlag sein Interesse bekundet hat. Die Übersetzung des Ausschnitts hat Landgaard selbst angefertigt, Karin Nohr hat für den Feinschliff gesorgt. Er sei noch nicht gut genug, um gleich auf Deutsch zu schreiben, sonst würde er sich auch daran versuchen, so Landgaard. Eigentlich eine freundliche Untertreibung seiner Fremdsprachenkenntnisse.

Karin Nohr bot ein sprachliches Kontrastprogramm. Sie bietet keine Wolke, auf der sich der Leser dahintreiben lassen kann. Ihr Stil ist deutlich assoziativer und lebt oft von kurzen, einprägsamen Wortbildern. Und ihr Schreibstil lebt vom richtigen Rhythmus. Ein Buch, in das man sich erst ein wenig einlesen muss, bis man dieses Tempo erspürt, das es braucht, um die Geschichte voll auf sich wirken zu lassen.

Von Guido Schneider


Siegener Zeitung (04.10.2019)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Guido Schneider (schn)

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