Bad Berleburg. (sabe) Mit den Märchen der Brüder Grimm beginnt für die meisten Deutschen die Lesebiographie – und damit mit einer romantischen Form der Aufklärung, einer Schule des Herzens, wenn man so will. Lernt man doch durch „Hänsel und Gretel“, „Hans im Glück“, „Schneewittchen“ oder „Rotkäppchen“ schon früh die Kardinaltugenden kennen: Mut, Treue, Mitleid, wahre Liebe. Nicht zum Nachahmen anempfohlen: Stolz, Selbstsucht, Neid oder Hartherzigkeit. Und mehr noch können die Prosatexte, die stets von wundersamen Begebenheiten erzählen, auch von Drachen, Hexen, Zauberern, Riesen, Fabeltieren und Zwergen: Sie lassen uns einen Sinn für das Literarische entwickeln, der sich, so wie bei Ulla Belz von der Veranstaltungsgemeinschaft des Bad Berleburger Literaturpflasters, zu einer lebenslangen Vernarrtheit in Bücher entwickeln kann. Davon wusste sie dem Publikum im Altenheim „Haus am Sähling“ in ihrer Vorrede zur Veranstaltung „Norwegische Märchen“ zu erzählen. „Wenn es im Winter langsam dämmrig wurde, so wie jetzt hier, da habe ich es geliebt, Märchen zu lesen – und auch heute noch.“
Es war also eine Veranstaltung mit nostalgischem Charakter, als Geschichtenerzählerin Katja Heinzelmann, im Rahmen des Literaturpflasters, das (zum Teil) uralte, phantastische Volksgut vorstellt – und zwar, natürlich, mit einem besonderen Augenmerk auf das Buchmessen-Gastland Norwegen. „Askeladden, der mit dem Troll um die Wette aß“, eine der bekanntesten Sagen aus dem hohen Norden, oder auch „Der weiße Bär König Waldemon“, in der von einem verzauberten Prinzen erzählt wird, kamen der Geschichtenerzählerin also statt dem „Froschkönig“ oder dem „Wolf und die sieben jungen Geißlein“ über die Lippen.
Märchenerzählen, das ist immaterielles Kulturgut, es sind Geschichten, geprägt durch den gesellschaftlichen Geist mit seinen Vorstellungen von Normen und Werten, es sind aber auch Beweise blühender Fantasie, die sich jeder zeitlichen Festlegung entsagen und somit nie an Aktualität verlieren können.
Auch in Norwegen haben die Volksmärchen einen wichtigen Platz in der Kultur. Parallelen gibt es dabei in der freien und phantasievolle Erzählung, jedoch werden hier (noch eindrücklicher als in den deutschen Varianten) oft Bezüge zum harten Alltag der Menschen gezeichnet. „Manche Märchen erinnern aber tatsächlich sehr an unsere deutschen.“ Das sei darauf zurückzuführen, dass die prägendsten norwegischen Märchensammler, Asbjørnsen und Mo, sich von den Brüdern Grimm sehr inspiriert gefühlt hätten. Allerdings, und das wurde während des ruhigen und gewissenhaften Erzählens von Katja Heinzelmann schnell deutlich, es gibt deutlich mehr Trolle und Kobolde!
Von Sarah Benscheidt