Bad Berleburg. Bjørn Andreas Bull-Hansen wirkt, als ob er selbst aus einem seiner Romane entsprungen ist. Haare, die bis zur Brust reichen, Vollbart und ein lockeres Leinenhemd, das mit einer Kordel vorne zusammengeschnürt wird. Nur der Laptop ist aus einer anderen Zeit – aber auch der wird gekonnt hinter einem dunkelbraunen, abgenutzten Ledereinband versteckt. Wenn Bull-Hansen von den Wikingern und ihrem Leben erzählt, wenn er aus dem norwegischen Prolog liest, hört man ihm gespannt zu – selbst wenn man der Sprache nicht mächtig ist. Gerade weil der Autor die sagenumwogende Zeit authentisch verkörpert, ohne auch nur einen Moment verkleidet zu wirken. Davon konnten sich die Besucher am Dienstagabend bei der Lesung im Berleburger Autohaus Kroh überzeugen, wo Bull-Hansen seinen dritten Roman „Viking“ aus der Reihe „Jomswikinger Saga“ vorstellte.
Die Faszination
Für Bull-Hansen sind die Wikinger und ihre Geschichten schon immer faszinierend gewesen. Als er sich entschließt, Bücher zu schreiben, wollte er vor allem historische Romane verfassen und eine andere Perspektive einnehmen: die des vermeintlich wilden und brutalen Volkes, das in der europäischen Kultur als eine Art Bestrafung Gottes galt.
Jahrelang hat Bull-Hansen recherchiert, um die Welt der Wikinger – die sich grob vom 8. bis 11. Jahrhundert erstreckte – möglichst detailreich und anschaulich darzustellen. „Ich lerne jeden Tag etwas Neues dazu. Mein Kopf ist voll von hunderttausenden Einzelheiten – zum Beispiel, dass der Meeresspiegel zu der Zeit in Skandinavien noch rund sechs Meter höher war als heute“, erklärte Bull-Hansen auf Englisch. Literaturpflaster-Organisatorin Rikarde Riedesel übernahm an diesem Abend nicht nur die Rolle der Moderatorin, sondern auch der Übersetzerin.
Der Inhalt
Und darum geht’s in Bull-Hansens aktuellen Roman: Norwegen im Jahre 993 – hilflos muss der junge Torstein zusehen, wie fremde Krieger seinen Vater brutal ermorden. Ihm selbst gelingt die Flucht und er findet ein neues Zuhause auf den Orkney-Inseln. Doch ein ruhiges Leben ist ihm nicht bestimmt: Weil er sich in die falsche Frau verliebt, muss er erneut fliehen. Nach monatelanger Irrfahrt verschlägt es ihn zurück in seine Heimat. Und dann ist endlich klar, was das Schicksal für ihn vorgesehen hat: In der großen Seeschlacht bei Svold, wo die skandinavischen Reiche um die Vorherrschaft im Norden kämpfen, steht Torstein unerwartet dem Mörder seines Vaters gegenüber – der jetzt Norwegens Königskrone trägt.
Der Stil
Marlen Jourdan von der Volkshochschule Siegen-Wittgenstein las aus der deutschen Fassung von „Viking“ vor. Dafür wählte sie zwei Passagen mit Cliffhanger aus, die den Zuhörern ein eindrucksvolles Bild von Bull-Hansens Schreibstil vermittelten: Auf der einen Seite sensibel und sanftmütig, wenn sich der kleine Torstein an die gemeinsame Zeit mit seinem Vater erinnert, auf der anderen Seite brutal und kaltblütig, wenn detailliert beschrieben wird, wie der Darm des ermordeten Vaters langsam nach außen quillt.
Die Geschichte
Gleichzeitig wird die Beschreibung von Natur und Tieren, Menschen und ihren gesellschaftlichen Bedingungen immer an den Handlungsstrang gekoppelt. Der Leser begibt sich so auf eine Zeitreise – denn die Figuren Torstein und auch seine Geliebte Sigrid sind Personen, die tatsächlich zu jener Zeit gelebt haben. „Viel weiß man nicht von Torstein“, so Bull-Hansen. „Aber man weiß, dass er Bootsbauer und ein Jomswikinger war.“ Jomswikinger seien exzellent ausgebildete Krieger gewesen und wurden sehr gefürchtet – auch in dem vierten Band, an dem Bull-Hansen gerade schreibt, sollen sie wieder eine zentrale Rolle einnehmen.
Und irgendwie schien Bull-Hansen sein Aufenthalt in Bad Berleburg inspiriert zu haben: Jedenfalls entschuldigt er sich gedankenversunken bei Rikarde Riedesel und dem Publikum, als er kurzerhand seinen Laptop aufklappt und weiter an seinem Roman schreibt, während Marlen Jourdan den zweiten Auszug aus seinem aktuellen Roman vorliest. „Manchmal ist das bei mir so“, sagt er, bevor man nur noch das leise Klackern der Tastatur hört.
Das Erfolgsrezept
„Viking“ ist der erste Roman von Bull-Hansen, der ins Deutsche übersetzt wurde. In seiner Heimat hat der Norweger bereits den Status eines Bestseller-Autoren erreicht; und auch sein Youtube-Kanal, in dem er sich mit der Lebensweise der Wikinger in der norwegischen Wildnis auseinandersetzt, hat mittlerweile knapp 120.000 Abonnenten.
„Man kann nur authentisch schreiben, wenn man weiß,
wie man ein Feuer machen kann.“
Bjørn Andreas Bull-Hansen über sein Erfolgsrezept
Sein Erfolgsrezept: Authentizität. „Man kann nur authentisch schreiben, wenn man weiß, wie man ein Feuer machen kann, wenn man weiß, wie man sich nachts mit Tierfellen warmhält“, so Bull-Hansen. Deswegen auch die pragmatische Frage, als ihm Rikarde Riedesel den obligatorischen Literaturpflasterstein am Ende der Lesung überreichte, ob er diesen auch zum Feueranzünden benutzen könne. „Bisher hat das noch niemand versucht“, entgegnete Riedesel lachend. Bull-Hansen wird wohl der erste sein. Vielleicht wird der Versuch auch bald auf Youtube zu sehen sein.
„Rabenwind“ zeigte kleine Ausstellung
Die Wikinger-Gruppe „Rabenwind“ aus Bad Berleburg umrahmte die Lesung mit einer kleinen Ausstellung, in der Alltagsgegenstände und Waffen wie Speere oder Äxte gezeigt wurden.
Mitglied Benjamin Boshof wollte Bjørn Andreas Bull-Hansen nach Wikinger-Tradition mit einem Umtrunk willkommen heißen, den dieser jedoch dankend ablehnen musste: er verzichtet aus persönlicher Überzeugung auf Alkohol.
Die Gastgeschenke in Form von Wolle – gegen den kalten norwegischen Winter –, einem kleinen Lederbeutel und einem Armband mit Perlen nahm Boll-Hansen hingegen dankend an.
Von Britta Prasse