Bad Berleburg. (schn) João Paulo Cuenca schreibt Bücher, die sich gut lesen lassen, aber keine Bücher, die sich einfach mal so nebenbei lesen lassen. So nebenbei wurde auch am Mittwoch im Sanitätshaus Kienzle in Bad Berleburg nicht gelesen. Es war eine spannende, informative, neugierig machende Lesung, mit einem engagierten Autor. Auch wenn die brasilianische Literatur wenig Gemeinsamkeiten untereinander aufweist, so scheint dies doch eine dieser wenigen Gemeinsamkeiten zu sein: Die Romane und Geschichten können den Leser fesseln und verwirren, ihn mitnehmen in neue Welten, aber vor allem machen sie ihren Lesern Arbeit, sie wollen erschlossen und intensiv gelesen werden.
Das gilt auch für "Mastroianni. Ein Tag" von João Paulo Cuenca. Das renommierte Literaturmagazin "Granta" wählte den 1978 in Rio de Janeiro geborenen Autor im vergangenen Jahr auf die Liste der 20 besten Jungautoren Brasiliens. In den verschiedenen Besprechungen des Originals wird sein virtuoser Umgang mit Sprache, seine Fähigkeit, skurrile, ja fast absurde Bilder zu erzeugen, gelobt. Viel von dieser Fähigkeit kommt auch in der deutschen Übersetzung von Michael Kegler zum Vorschein. Der Übersetzer hat es verstanden, die teilweise surrealen Szenen des Buches auch im Deutschen in ihrer Wirkung zu erhalten.
Zur Handlung: Im Zentrum stehen zwei junge Männer. Pedro Cassavas, aus dessen Sicht weite Teile der Handlung erzählt werden, und sein Freund Tomás Anselmo durchleben einen Tag voller Müßiggang in einer Stadt, die sie sich quasi selbst erschaffen. João Paulo Cuenca spielt mit Klischees einer Generation, die in der Inszenierung lebt, die immer irgendwo ein Projekt hat, ohne je richtig anzufangen, ein Projekt anzupacken.
Expressiv und ironisch schildert er das Lebensgefühl einer Generation, genauer: die Klischees einer Generation, die sich vor Idolen und Vorbildern nicht mehr retten kann und aus lauter Furcht vor Gemeinplätzen sich untrennbar mit diesen vermischt: "Wie viele Minuten in deinem Leben gibt es, über die du sagen kannst, dass wirklich etwas passiert ist?" Mit diesen Worten weckt Pedro Cassavas seinen Freund Tomás Anselmo, dessen Name nicht zufällig an Guido Anselmi erinnert, den gescheiterten Regisseur aus Fellinis Meisterwerk "Achteinhalb". Nur dass Anselmo ein ganz gewöhnlicher Loser ist und Pedro Cassavas ein Möchtegern-Dandy, ein Möchtegern-Schriftsteller, der sich seiner eigenen Existenz versichern will.
So also schlingert Pedro durch diesen Tag, nein es ist nicht mal ein ganzer Tag, der ihn von einer Bar in die nächste führt, durch Barbierläden, Restaurants und Villen. Unterwegs stoßen zu Tomás und Pedro noch die "süße Maria" und ihre Freundin Veronica. Auch sie sind nicht anders als ihre männlichen Pendants. Die Protagonisten zitieren, loben sich selbst und geben sich in ihrer grenzenlosen Selbstdarstellung der Lächerlichkeit preis, immer auf der Suche nach Sinn, Sinnlichkeit und dem perfekten Moment.
João Paulo Cuenca beschreibt all das ironisch, bisweilen zynisch und zeitweise auch recht drastisch. So zum Beispiel ein kurzes, sexuelles Erlebnis von Tomás und Maria in einer Toilettenkabine. Es ist intensiv und doch für die beiden ohne Bedeutung, wie so vieles, wie fast alles, was sie machen. Unterbrochen wird die Handlung immer wieder durch eine Stimme aus dem Off, die sich ungefragt einmischt, die Pedro in die Mangel nimmt, ohne ihn aufzuklären, was das Ganze soll.
Ungewöhnlich für eine Lesung: Am Mittwoch bekamen die Zuhörer das Ende des Romans zu hören, Autor und Übersetzer legten es nicht darauf an, neugierig auf die Auflösung der Handlung zu machen. Vielmehr zeigten sie, wie sich die Handlung selbst im Nichts auflöst, und gerade dadurch entsteht der Reiz, "Mastroianni. Ein Tag" zu lesen.
Im Anschluss an die Lesung, die letzte in diesem Jahr im Rahmen des Berleburger Literaturpflasters, gab es ein brasilianisches Buffet, zubereitet von drei Brasilianerinnen, die in Wittgenstein leben. Ein würdiger Abschluss für den Abend und ein würdiger Rahmen für den vorgestellten Roman. Die Gäste durften sich fühlen wie Pedro und Tomás: ein exotisches Buffet mitten in einer orthopädischen Werkstatt – ähnlich skurril wie so vieles im Roman.
Von Guido Schneider