Bad Berleburg. Sind die Wittgensteiner eigentlich sensationslüstern oder gar blutrünstig? Diese Frage stellt sich in jedem Jahr aufs Neue, wenn es im Rahmen des Literaturpflasters zur Krimilesung kommt. Jede dieser Veranstaltungen im Gerichtssaal des Amtsgerichts ist bis auf den letzten Platz besetzt, übrigens in der Überzahl von Frauen.
Und in diesem Jahr, Gastland der Frankfurter Buchmesse ist Brasilien, ist es auch eine Frau, die ihren Krimi "Leichendieb" in Bad Berleburg vorstellt. Patricia Melo ist in ihrem Heimatland - sie wurde 1962 in São Paulo geboren - bereits zu einer Krimilegende geworden. Ins Deutsche wurden bisher sechs ihrer Werke übersetzt und das allein durch die Hamburger Sprachwissenschaftlerin und Dolmetscherin Barbara Mesquita. Die beiden Frauen traten im Doppelpack vor ihr Berleburger Publikum, Otto Marburger als Vorsitzender der Kulturgemeinde Bad Berleburg, sprach die Begrüßung und Einführung. Ein sympathisches "Dreigestirn" bot sich den Zuhörern.
Wie zwei Schwestern
Zwischen Barbara Mesquita und Patricia Melo entstand im Laufe der jahrelangen beruflichen Zusammenarbeit eine innige private Beziehung. "Wir leben wie zwei sich sehr mögende Schwestern Seite an Seite", bekennt Barbara Mesquita in ihrem Rückblick der Kooperation. Beipflichtend gibt Patricia Melo zu: "Ohne ihre punktgenaue und einwandfreie Übersetzung würde ich in Deutschland wahrscheinlich gar nicht derart positiv ankommen."
An dieser Stelle ist zu bemerken, dass Patricia Melo während der Frankfurter Buchmesse, die gestern zu Ende gegangen ist, den diesjährigen LiBeratur-Preis verliehen bekam. Der Preis wurde erstmals 1987 verliehen vom ökumenischen Zentrum Christuskirche, das sich zur Aufgabe gemacht hat, dem Publikum Literatur aus Afrika, Lateinamerika und Asien näher zu bringen.
"Leichendieb" ist ein dunkles Porträt der brasilianischen Drogenmafia, die Patricia Melo mit ungeheurer Akribie beschreibt. Ihre Recherche in Polizei- und Justizkreisen sowie auf Seiten des Verbrechens ist umwerfend für den Leser. Ihre psychologische und forensische Forschung für diesen Roman gleicht einer Wissenschaftsarbeit. Die Menschenkenntnis, dafür benötigt sie kein Studium, das sind Erfahrungswerte des eigenen Lebens und Erlebens. Sie folgert, in jedem Menschen steckt der Keim für das Bitterböse. Manchmal sind es winzigkleine Auslöser, die einen zum Verbrecher werden lassen. "Leichendieb" ist ein Roman ohne Mörder, doch mit soviel Verstrickungen in Nebenszenen, dass, so Otto Marburger, "es unmöglich ist, das Buch wieder aus der Hand zu legen. Ich habe es zweimal verschlungen."
"Ohne ihre punktgenaue und einwandfreie Übersetzung würde ich in Deutschland wahrscheinlich gar nicht derart positiv ankommen."
Patricia Melo über ihre Übersetzerin Barbara Mesquita
Patricia Melo hat ihren Thriller in zwei große Kapitel gesetzt, Kapitel eins beschreibt "Leiche", Kapitel zwei beschäftigt sich im Gros mit "Dieb" und gibt ein Bild eines Unsympathen ohne Namen wieder, der irgendwie in eine grauenvolle, inzwischen von ihm selbst gesteuerte Verbrechensmaschinerie geraten ist. Der Protagonist erfährt sogar von Seiten der Autorin einige Rechtfertigungen, sie lässt ihn stellenweise als gar nicht so üblen Kerl dastehen. Doch fies ist er, ohne Zweifel. Auf intensive Inhaltsangaben verzichteten die drei "Akteure" im Richterstand des Amtsgerichts. Der Titel "Leichendieb" beschreibt viel Geheimnisvolles, Dunkles, ein Gefühl des Horrors macht sich breit während der kurzen Ausführungen der Szenen.
Schnell nach Frankfurt zurück
Was dem Berleburger Publikum bereits verraten wurde durch die Lesung, macht gierig auf den Krimi "Leichendieb", der ja noch mehr hat als Kriminelles – eine massive Informationsflut über Machenschaften, schmutzige Geschäfte, über Unterwelt und völlig Unschuldige. Zu Recht hat Patricia Melo hier die Flut an Literaturauszeichnungen für ihre Werke erhalten, auch jüngst in Deutschland.
Viel Zeit blieb der Autorin nicht in Berleburg zum Austausch mit dem Publikum, schnell musste sie zur nächsten Lesung nach Frankfurt und zur Übergabe ihres LiBeratur-Preises am Samstag.
Von Christiane Sandkuhl