Bad Berleburg. (pk) Mit jeder Menge Tatendrang und einer eindeutigen Vision verschrieb sich Brasilien im Oktober seiner prestigeträchtigen Funktion als "Ehrengast" der Frankfurter Buchmesse. Durch eine akribisch aufbereitete Präsentation der mannigfaltigen literarischen Traditionen sowie einen gezielten Fokus auf die Werke aufstrebender Jungautoren sollte es gelingen, den in Europa mit skeptischem Blick betrachteten, größten südamerikanischen Staat als dynamisches, fortschrittliches Schwellenland zu zeigen. Auch das Bad Berleburger Literaturpflaster, dessen vielfältiges Programm noch bis zum 19. November läuft, widmet sich in diesem Jahr dem Gastland.
Im Vortragssaal des Berleburger Schlosses referierte Dr. Uwe Kaestner, Botschafter a. D., über die gegenwärtige Situation und die Zukunftsperspektiven des Landes. Gemäß dem Leitmotiv "Brasilien - ein Land mit vielen Facetten" strebte der Referent, der unter anderem einige Jahre lang als Beauftragter für Lateinamerikapolitik agierte und die Bundesrepublik zwischen 2001 und 2004 als Abgesandter in Brasilien vertrat, nach einer Vermittlung der großen Diversität des Staates. Es gehe ihm darum, ein "breites Brasilien-Bild" zu zeichnen, somit bestehende Vorurteile abzubauen und letztlich die Vielseitigkeit des bevölkerungsreichsten südamerikanischen Staates in den Fokus zu rücken. Sogleich gelang es Dr. Uwe Kaestner, seine wohlklingende Formulierung mit überzeugenden Inhalten zu füllen. So warb er ausdrücklich für einen differenzierteren Blick auf seine langjährige Wahlheimat, ohne dabei die Existenz der auch im 21. Jahrhundert noch immer gravierenden Problemkonstellationen aus dem Auge zu verlieren. Dr. Uwe Kaestner stellte Brasilien - abseits der gängigen Klischees - in erster Linie als eine "absolute Kulturnation" dar. Besonders auf der Frankfurter Buchmesse habe sich das Land als literarisch hochstehend und zukunftsorientiert gezeigt. Die während der Messe präsentierten Werke vieler Schriftsteller hätten eindrucksvoll aufgezeigt, mit welchen Themen Brasilien konfrontiert sei. Wahrhaft diffizil, so stellte der Referent klar, sei etwa die Beurteilung der brasilianischen Ökonomie.
"Brasilien ist im Nordosten noch immer ein Entwicklungsland", stellte Dr. Uwe Kaestner klar. Daher sei es auch nicht überraschend, dass der Staat im sogenannten "Human Development Index", den die Vereinten Nationen als Indikator für die Wohlstands-Entwicklung in insgesamt knapp 190 Nationen lanciert haben, nur auf dem 73. Platz rangiert. Dennoch gilt Brasilien zweifelsfrei als politisches und wirtschaftliches "Schwergewicht Südamerikas", wie der Referent vehement unterstrich. Dieser Umstand sei mit der Innovationskraft des Landes auf gleich mehreren Segmenten zu begründen. Unter anderem im Bereich der Tropenlandwirtschaft nehme der rund 200 Millionen Einwohner starke Staat eine absolut führende Rolle auf internationalem Parkett ein. Auch in den Bergbau- und Dienstleistungssektoren sowie in Bezug auf das Vorkommen und die Verarbeitung natürlicher Rohstoffe - Brasilien ist der weltweit größte Zuckerrohrproduzent - befinde sich das Land in einer sehr komfortablen Situation. Abseits der rein ökonomischen Entwicklung ist Brasilien im Verlaufe der letzten Jahre ebenfalls zu einer immer bedeutenderen Nation avanciert. Als Sprachrohr aktueller Entwicklungen versteht sich die "Deutsch-Brasilianische Gesellschaft", deren Vorsitz Dr. Uwe Kaestner seit dem Jahre 2004 einnimmt. Er fungiert überdies als Mitherausgeber der Zeitschrift "Tópicos", die sich auf intensive Art und Weise mit bedeutenden Themen wie etwa der Diversität der brasilianischen Natur und den gesamtwirtschaftlichen Perspektiven des südamerikanischen Landes auseinandersetzt.
Die immer weiter fortschreitende Rodung des ökologisch so bedeutsamen Regenwalds wird dabei ebenso thematisiert wie die potentiellen Chancen und Risiken, die mit der kürzlich erfolgten Entdeckung gigantischer Erdölvorkommen an der brasilianischen Atlantikküste einhergehen. Nach seinem Vortrag trat Dr. Uwe Kaestner in einen sehr angeregten Dialog mit den Besuchern, bevor ihm anschließend noch eine ganz besondere Ehre zuteil wurde. Die Organisatoren ermöglichten es dem Referenten, sich im Goldenen Buch der Stadt Bad Berleburg zu verewigen. Überdies erhielt der 74-Jährige als Zeichen der Anerkennung einen symbolischen "Literaturpflasterstein" aus der Hand des Bürgermeisters Bernd Fuhrmann.
Von Patrick Kohlberger