Bad Berleburg. Der wohl wärmste Veranstaltungsort tat sich nun für das literaturhungrige Publikum im Odebornstädtchen auf. Die Brüder und Bäckermeister Carsten und Andreas Wahl hielten für kurze Zeit ihre riesigen Backöfen an, reinigten die Backstube von Mehl und Zucker und erwarteten den Besucherstrom. Dort wo sonst Brote gefertigt, Torten verziert und Hefezöpfe gedreht werden, knubbelten sich die Menschen. Und es wurde noch wärmer.
Mit Geduld warteten die "Drei Damen vor dem Ofen", die Schriftstellerin Adriana Lisboa, Stadtarchivarin Rikarde Riedesel und die deutsche Stimme, VHS-Lehrerin Marlen Jourdan, vor dem hitzigen Gerät, denn immer noch fanden weitere Zuhörer den Weg in die Backstube.
Mit neun Jahren lyrisch aktiv
Adriana Lisboas feines Antlitz, die klugen Augen tasteten über die große Menschenmenge. Der Eindruck eröffnete sich, als suche sie abermals an Thematik für einen nächsten Roman. Die 43-jährige Brasilianerin ist ein alter Hase, was die Schriftstellerei angeht. Bereits mit zarten neun Jahren machte sie ihre ersten Gehversuche in Sachen Lyrik. In späteren Jahren verlangte sie sich die unterschiedlichen Gattungen ab - ob der Roman, die Kurzgeschichte oder diverse Prosa-Arbeiten. Für ihr Werk "Der Sommer der Schmetterlinge" erhielt sie in ihrer Heimat bereits 2001 den José-Saramago-Preis. Dieser Preis wird in Brasilien alle zwei Jahre an erfolgversprechende Nachwuchskünstler verliehen. Adriana Lisboa ist die dritte Literatin, die ihn bekam. Der Preisgeber vermittelte es so: "Wir haben es mit einer Autorin zu tun, der die Zukunft gehört."
Schon elf Romane
Insgesamt hat die zarte Erscheinung Lisboa bereits elf Romane veröffentlicht - neben anderen Gattungen. Derzeit arbeitet sie an einem Gedichtband, der 45 Einzelbetrachtungen umfassen soll.
Die erst 2013 erschienene Übersetzung "Der Sommer der Schmetterlinge" war aus Gründen der Aktualität präsentiertes Werk der Autorin vor dem Backofen.
"Meine Themen sind immer wechselnd, ich bin nicht festgelegt."
Adriana Lisboa, Autorin
Adriana zeichnet ein Familienbild der beiden Schwestern Clarice und Maria Inês, deren Charaktere nicht unterschiedlicher sein können. Clarice, zurückhaltend und ängstlich erscheinend, wird ihrer eher zähen, kämpferischen Schwester gegenübergestellt. Zunächst wird die Kindheit beleuchtet, später das Erwachsenenalter. Ein düsteres Familienbild tut sich dem Leser auf, wobei die Autorin nicht chronologisch vorgeht. In Schleifen, Windungen und Elipsen arbeitet sie sich zum Kern der Charaktere durch und erschließt sich und dem Leser die von grausamem Schicksal behaftete Welt der beiden Frauen.
Adriana Lisboa schreibt äußerst präzise, als benutze sie ein Mikroskop zum Erkennen der Feinheiten der Seelen der Menschen.
Auf die Frage Rikarde Riedesels, wie sie auf das Thema ihres Romans kam, beschreibt Adriana Lisboa die Betrachtung des Gemäldes "Symphony in White" des amerikanischen Malers James Whistler. Hier bekam sie Inspirationen für die Geheimnisse, die sie den Mädchen/Frauen Clarice und Maria Inês auferlegt. Es geht um die bittere Wahrheit des Kindesmissbrauchs, der Offenbarung dieses schrecklichen Geheimnisses Jahrzehnte später. Die Schwestern verloren sich aus den Augen, die eine lebte in Rio de Janeiro, führte ein Leben vergleichbar einer Kosmopolitin, Ärztin, relativ erfolgreich – Clarice die vier Jahre Ältere, lebt zurückgezogen auf dem Land, der verhärmte Eindruck drängt sich nahezu auf.
Auf dem Land und in der Stadt
Insbesondere die Orte, der Gegensatz Landleben und Stadt geben Auskunft über ein Stück weit Autobiografie Adriana Lisboas, die beide Formen kennengelernt hat, wohl auch das Leben als Kosmopolitin mit Aufenthalten in Japan, Frankreich und ihrem jetzigen Wohnsitz, die USA.
Mit feinem Gespür, der speziellen Sichtweise des Herauskristallisierens fokussiert sie sich auf das Innere ihrer Protagonisten und findet so den Grund für dieses oder jenes Handeln der Personen.
Adriana Lisboa gibt zu: "Meine Themen sind immer wechselnd, ich bin nicht festgelegt auf beispielsweise problematisches Familienbild." Durch die Offenheit, mit der sie durch ihr Tun geht, erschließt sich eine sehr umfangreiche schriftstellerische Welt. Das begeisterte natürliche ihre Zuhörer und mit großem Applaus und reichlich Widmungen in den erstanden Büchern ging die dritte Lesung im Rahmen Literaturpflaster Bad Berleburg zu Ende.
Von Christiane Sandkuhl