In Bad Berleburg las Murat Uyurkulak
aus seinem Roman "Zorn"
Grosses vor
kleiner Kulisse
Bad Berleburg. (jg) "Die Revolution war einst eine Wahrscheinlichkeit, und sie war sehr schön." So lautet der erste Satz in Murat Uyurkulaks Roman "Zorn". Zusammengenommen mit der Widmung darin, "Zum Andenken an meinen lieben Genossen Cevdet Tosun", weiß man, von wo der Wind weht: nämlich von ganz links. Vorgelesen wurde der erste Satz am Sonntag im Berleburger Hit-Markt, dort fand die zweite Lesung auf dem Berleburger Literaturpflaster statt. Ein großer Veranstaltungsort, aber leider nur eine kleine Kulisse.
Gerade mal 35 Leute lauschten der Lesung: obwohl einem hier erstens hervorragende Literatur geboten wurde und zweitens eine schön inszenierte Lesung. Man spürte deutlich, dass Murat Uyurkulak und seine Übersetzerin Sabine Adetepe schon länger zusammen durch die deutschsprachige literarische Welt tingelten. Es gab mit Bedacht ausgesuchte Textstellen, die auszugsweise auf Türkisch und dann auf Deutsch vorgelesen wurden. Und zwischendurch immer wieder genau eingepasste Fragen von Sabine Adetepe.
Die Situation des Romans ist die folgende: Ein junger Mann namens Yusuf, etwa so alt wie der Romanautor, der Jahrgang 1972 ist, macht sich auf eine Zugfahrt von Istanbul nach Diyarbakir. Dabei trifft er einen alten Kämpfer, stattlich und doch heruntergekommen, liebevoll und doch lieblos. Der alte Kämpfer ist in der Geschichte, die auf Türkisch 2002 veröffentlicht wurde, etwas über 70 und damit gerade so alt wie die moderne Atatürk-Türkei selbst. Der Alte gibt dem Jungen verschiedene Texte zu lesen, bald stellt Yusuf fest, dass die Texte von seinem Vater handeln, den er nie kennengelernt hatte. Mit dem Slogan "Die inoffizielle Geschichte der Türkei aus den vergangenen 50 Jahren" wird der Roman beworben. In der Türkei war dieser Erstling eine absolute Sensation, auch weil er Tabus bricht. So trägt das türkische Original den Titel "Tol". Das heißt nicht etwa "Zorn", sondern "Rache", und ist außerdem auch noch Kurdisch. Dennoch habe er zu Hause keine einzige negative Reaktion auf den Titel bekommen, den er sowohl aus klanglichen als auch aus politischen Gründen gewählt habe. Der durchgehend sehr ernst und ernsthaft wirkende Autor – hier wäre Marcel Reich-Ranicki eindeutig besser aufgehoben gewesen als in Köln – hob vor allem ein Datum aus der jüngeren türkischen Geschichte hervor. Den 12. September 1980, als es den bisher letzten Militärputsch in der Türkei gab.
Das sei für ihn als Kind – mit kommunistischem Familien-Hintergrund – ein Wendepunkt gewesen. Auch in Bad Berleburg konnte er die Angst, die damals in seinem Leben Einzug hielt, deutlich greifbar schildern. Heute hoffte er für die Türkei, dass die Demokratisierung und die Stärkung der zivilen Rechte weitergehen. Doch letztendlich könne es aufgrund steigender Umwelt-Probleme und globalem Kapitalismus nur Lösungen für die ganze Welt geben, nicht mehr für einzelne Länder. Die Europäische Union sei da ein gutes Modell. Und so ist es auch kein Problem, dass der sechstletzte Satz im Roman folgendermaßen lautet: "Wie schön ist die Revolution, wenn sie eine Wahrscheinlichkeit ist."