Rüstzeug zum Lesen
Literaturpflaster: Dr. Gisela Kraft gibt eine spannende und charmante Einführung in die türkische Literatur
Bad Berleburg. (mika) Dr. Gisela Kraft wollte ihren Zuhörern vor allem eines mitgeben: Das Rüstzeug, jeden türkischen Roman der Gegenwart nicht nur lesen, sondern auch verstehen und einordnen zu können.
Die Einführung in die türkische Gegenwartsliteratur des Literaturpflasters war gut besucht. "Wird es Abend im Morgenland?", fragte Dr. Kraft zweideutig. Dicht gedrängt standen die Stühle in der Kur-Apotheke neben den Wässerchen und Mittelchen, dicht gedrängt saßen auch die Zuhörer. Mit einem Hauch Anisduft stimmte der Gastgeber, Apotheker Karsten Wolter, auf den Vortrag ein. Schließlich wollte Gisela Kraft wollte als Schriftstellerin und nicht als Wissenschaftlerin erzählen, mit kleinen Anekdoten und Versen - auch auf türkisch.
In ihrem lebendigen Vortrag berichtete sie von den zwei maßgeblichen Tendenzen der türkischen Literatur, die heute noch zu finden sind: Stadt und Land. Die Zweigleisigkeit wurde im 13. Jahrhundert manifestiert. Auf der einen Seite prägte der Gelehrte "Mevlana", zu deutsch "Herr", genannte Dichter Celaleddini Rumi mit seinen politischen Schriften die Literatur von der Stadt Konya aus, während Yunus Emre als Holzsammler und Analphabet über die einfachen Dinge in seinen Liedern dichtete.
Beiden gemein, so Dr. Kraft, sei aber besonders ein Thema gewesen: der Abschied. Zudem erklärte sie die starken, immer wiederkehrenden Symbole wie Rose und Nachtigall (der passiv und der aktiv Liebende), den Ochsen (trägt die Welt auf seinen Hörnern), das Pferd (Tradition), Vögel (Hahn als Lichtsymbol)oder auch Bäume (Geselligkeit).
Einige Zeit im Gefängnis verbracht zu haben, sagte die Wissenschaftlerin lächelnd, sei für einen türkischen Autor fast schon Ehrensache. "Ansonsten muss er wenigstens einen Prozess gehabt haben." Das zeigt, dass sich der Autor für eine Sache einsetzt und die Wahrheit sagt. Im Falle Nazim Hikmets jedoch ging es so weit, dass der berühmte Schriftsteller 15 Jahre im Gefängnis verbrachte, dann fliehen konnte und letztlich im Exil starb. "Ich bin im PEN-Club und habe Mitarbeiter von 'Writers in Prison' kennen gelernt", sagte Gisela Kraft. Auf der Liste der Länder, in denen Schriftsteller eingesperrt oder verfolgt würden, stehe China ganz weit oben - gefolgt von der Türkei. Ein Thema, an dem sich Orhan Pamuk die Finger verbrannte, war der Völkermord an den Armeniern. Pamuk stand schnell vor Gericht. "Er hatte gegen das Türkentum gehandelt", erklärte Kraft, die sich dann charmant von ihren interessierten Zuhörern mit einem modernen türkischen Gedicht verabschiedete: "Hopp Dieb, sei so lieb ..."
Von Mareike Müller
Info
Prosa und Umlaute
- Die Quote der Analphabeten in der Türkei sei noch immer hoch, besonders in Anatolien.
- Atatürk hatte 1928 die lateinische Schrift gewählt, da es im Arabischen nicht möglich war, die vielen Umlaute des Türkischen adäquat darzustellen.
- Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die Prosa in die türkische Literatur, seitdem schreiben auch immer mehr Frauen.
- Kommenden Donnerstag liest Hülya Özkan um 20 Uhr in der Polizeiwache: "In deiner Hand".