Interessierte Zuhörer bei Literaturpflaster-Krimi-Lesung von Hülya Özkan in der Polizeiwache

Nach der Lesung signierte Hülya Özkan sehr gern ihre Krimis in der Berleburger Polizeiwache. Drei hat sie bisher geschrieben, einer läuft nächste Woche im Fernsehen. (SZ-Foto: Jens Gesper)

"Dann lösen wir die EU auf"

Bad Berleburg. (jg) Diese Szene mit dem ermordeten Transvestiten, der vor Publikum und Kameras am Tatort entblößt worden sei, das sei wohl etwas übertrieben gewesen, beschwerte sich bei der anschließenden Diskussion ein Zuschauer bei Hülya Özkan, die gerade aus ihrem dritten Istanbul-Krimi "In deiner Hand" gelesen hatte. Nein, im Gegenteil, genau das sei der Teil ihres Romans, der eine reale Vorlage gehabt habe, entgegnete die Autorin. Naja, dann könne er verstehen, dass die Türkei nicht zur Europäischen Union gehöre, konterte der Zuhörer, um dann nachzuschieben, das sei nicht ganz ernst gemeint gewesen. Vielleicht war es noch nicht einmal berechtigt gewesen. Schließlich scheute sich der britische Sender Channel 4 vergangenes Jahr nicht, Bilder der sterbenden Lady Di im Fernsehen zu zeigen. Die spanische Zeitung "El País" erregte vor anderthalb Wochen landesweite Empörung, weil sie im Internet den Film veröffentlichte, der zeigt, wie 154 Menschen mit ihrem Urlaubsflugzeug in die Luft fliegen. Ein großes deutsches Boulevard-Blatt nutzte die Hinrichtung von Saddam Hussein, um – streng wissenschaftlich – darauf hinzuweisen, was sich an körperlichen Reaktionen bei dem Delinquenten abspielen kann, wenn man ihn erhängt. Da haben Deutschland, Spanien und Großbritannien aber Glück, dass sie schon zur EU gehören.

Um dieses Thema wollte Hülya Özkan auch in ihrem Krimi nicht herumkommen. So erzählen sich zwei Protagonisten im Roman den neuesten türkischen EU-Witz. Es ist 2050 – die Türken haben jeder erdenkliche Vorbedingung der Unions-Europäer erfüllt: Sie haben ihre Muttersprache für Englisch drangegeben und akzeptiert, dass ihre Leib- und Magenspeise aus gegrillten Schafs-Eingeweiden verboten ist. Der EU-Kommissionspräsident ist verzweifelt, weil ihm nichts mehr einfällt, um die Türken hinzuhalten. So sagt er: "Dann lösen wir eben die EU auf."

Das macht zweierlei klar: Hülya Özkan hat Humor und kann witzig und gewitzt schreiben, zudem hat sie ein politisches Bewusstsein und eine dementsprechende Botschaft. In der Diskussion wurde sie deutlicher: Sie habe zeigen wollen, dass in Istanbul Morgen- und Abendland zusammenträfen, die Tradition und die Moderne – und dass das dort prima funktioniere. Die Botschaft war klar. Nun mag manch einer sagen, die ist ja Türkin und deshalb voreingenommen. Das stimmt aber nicht.

Hülya Özkan schreibt ihre Bücher auf Deutsch, wenn auch einer ihrer Krimis bereits auf Türkisch übersetzt wurde, und benutzt dabei Wörter wie "Bindungsängste". Deutscher geht es wohl kaum. Außerdem gab sie ehrlich zu, dass sie vor ihrem Roman gedacht habe, der Ramadan sei solch eine heilige Zeit, da gebe es doch keine Morde. Erst durch ihre Recherchen habe sie herausgefunden, dass dann sehr wohl gemeuchelt werde. Als eine Deutschländerin hat sie einen Roman für Deutsche geschrieben. Der große Vorteil dabei: Durch ihre türkischen Wurzeln bekommt sie Einblicke in die dortige Gesellschaft, die einem anderen Ausländer verschlossen blieben. Das macht ihre Krimis glaubwürdiger. Das unterstrich übrigens auch die Siegener Kripo-Beamtin Susanne Bald, die, wie einige andere Polizisten, zu den 60 Besuchern bei der Lesung in der Berleburger Polizeiwache gehörte. Insbesondere die Schilderung der Arbeiten am Tatort seien ihr sehr glaubwürdig vorgekommen.

Hülya Özkan

... wurde 1956 in der Türkei geboren und kam als Siebenjährige nach Deutschland. Sie wuchs hier auf, studierte Politikwissenschaften und Journalistik, absolvierte ein Volontariat beim ZDF, wo sie gegenwärtig unter anderem nachmittags um Vier das Magazin "Heute – in Europa" moderiert. Lebensmittelpunkt ist Mainz, aber sie hat auch eine Wohnung in Istanbul. Einer ihrer drei Kriminalromane ist verfilmt worden und läuft am Donnerstag, 2. Oktober, ab 20.15 Uhr im Ersten unter dem Titel "Mordkommission Istanbul: Die Tote in der Zisterne".


Siegener Zeitung (27.09.2008)
SZ-Foto: Jens Gesper (jg)

Siegener Zeitung
Siegener Zeitung