Selim Özdogan
las in der Cafeteria der Odebornklinik
Genialer Abschluss
des 15. Literaturpflasters
Bad Berleburg. (cw) Nun ist es also bedauerlicherweise für alle treuen Besucher und Zuhörer des 15. Bad Berleburger Literaturpflasters schon vorbei: knappe acht Wochen erfreuten die Freunde der internationalen Literatur türkische Autoren, Musiker und Fotokünstler an den unterschiedlichsten, manchmal gar ominösen Veranstaltungsorten an der Odeborn.
Den genialen Abschluss bildete nun in der Caféteria der Odebornklinik der in Köln lebende, 37-jährige Schriftsteller Selim Özdogan. Er stellte seinen mehr als zahlreichen Zuhörern seinen achten Roman "Die Tochter des Schmieds", der bereits 2005 erschien, vor.
Beschrieben werden darin die Jugendjahre der Türkin Gül, die im Anatolien der 50-er und 60-er Jahre aufwächst. Gül verliert als Kind ihre Mutter, die nach der Entbindung ihres dritten Kindes stirbt. Özdogan formuliert ein völlig unspektakuläres Mädchenleben an der Seite einer pflichtbewussten, aber lieblosen Stiefmutter. Für ihre leiblichen Geschwister übernimmt Gül die Mutterrolle.
Kernthemen, die das Mädchen immer wieder bewegen, sind der Tod und die Bescheidenheit, wobei diese Tugend mannigfach austauschbar ist mit Unselbstständigkeit. Wichtigste Aussage der Stiefmutter ist, nachdem Gül sich bei einer Rangelei mit den Schwestern einen Nasenbeinbruch zuzog: "Sie ist ein Kind, es wird schnell heilen!" Untertonig verstehen sich nicht nur die körperlichen Verletzungen als schnell heilbar, die Stiefmutter suggeriert mit ihrer Haltung die Oberflächlichkeit ihrer psychologischen Kompetenz.
Gül heiratet mit 15 Jahren einen Mann, den sie überhaupt nicht liebt und verlässt später ihre Heimat in Richtung eines Landes, das sie nicht kennt und dessen Sprache sie nicht beherrscht.
Selim Özdogans Roman endet im niedersächsischen Delmenhorst. Er umreißt sprachlich schnörkellos, anmutig bis salopp das spröde Leben der jungen Gül mit einer gewissen melancholischen Betrachtungsweise, lässt dies aber nicht traurig erscheinen, Gesellschaftskritik völlig außer Acht lassend. Psychologische Bewertungen der Protagonistin und der Nebenfiguren bleiben außen vor.
Wenn Selim Özdogan mal nicht an einem Roman arbeitet, dann widmet er sich biblischen Texten und fabuliert mit epischer Eleganz, auch mit bissigem Humor alttestamentarische Inhalte zu tiefsinnigen, mit sprachlichen Eindeutigkeiten versehenen Pamphleten.
In Berleburg musste so mancher Zuhörer, dessen Art des Humorverständnisses mit dem Özdogans übereinstimmte, mit hochrotem Kopf das schallende Herausprusten der Belustigung maßvoll unterdrücken. Die Umformulierung des "Turmbau zu Babel" brachte Wortschöpfungen zutage wie "... ohne mit der Zimper zu wucken" oder "... man suche hier mal den genischen Sächsitiv". Das Publikum hat diese Entgleisungen in höchstem Maß amüsiert.
Özdogan ist befreundet mit Michael Birbeck, bekannter Gagschreiber für die Komödianten Harald Schmidt und Stephan Raab. Von ihm holt er sich so manchen sprachlichen Tipp und lässt auch gern Zitate des Freundes in seine Werke mit einfließen.
Selim Özdogan versah mit seiner Lesung das Berleburger Literaturpflaster zum krönenden Abschluss mit einem Sahnehäubchen.
Von Christiane Weinhold