Herrliche Stimmung im Sanitätshaus Kienzle
bei köstlicher Lesung von Hatice Akyün

Mit Recht kann sich Hatice Akyün als Autorin sehen, die im Herzen Deutsch ist und in der Seele Türkisch. (WP-Foto: Christiane Weinhold)

Humor aus dem Kohlenpott

Bad Berleburg. (cw) Die jüngste Veranstaltung des 15. Berleburger Literaturpflasters fand im Sanitätshaus Kienzle statt. Aufgrund des unerwarteten Andrangs war niemand zu empfindlich, um auf Roll- oder Toilettenstühlen Platz zu nehmen - Hauptsache die Besucher konnten das deutsche Humorwunder aus dem Kohlenpott erleben.

Hatice Akyün: das klingt doch sehr türkisch, ist es auch. Doch diese Frau ist ein Erlebnis, etwa in die Waagschale mit Komödiantinnen wie Gabi Köster oder Anke Engelke geworfen. "Was diese Frau so alles treibt", der Titel des Hollywoodklassikers mit Doris Day gibt das wieder, wofür Hatice Akyün die Feder in die Hand nimmt: sie widerlegt Klischees, schraubt religiöse Traditionen bis an die Spitze des Erträglichen, foppt ihre Umwelt, bringt Herzen zum Schmelzen und erwartet dafür schallendes Lachen in ihren Lesungen.

Fernab der Engstirnigkeit montiert sie sich in eine anatolische Welt, die sie als Dreijährige verlassen hat und die ihr heute in keiner Weise fremd ist. Ohne Überheblichkeit macht sie sich über ihre analphabetische Mutter lustig, die es in 36 Jahren Duisburg nicht geschafft hat, vernünftig Deutsch zu reden. Eine von islamischem Familienhintergrund geprägte Frau, der es suspekt ist, das die deutsche Sprache mehr als zwei aufeinander folgende Konsonanten beinhalten kann. Aus deutschen Metropolen fabriziert sie flink mit ihrer Zunge "Schututtgared", "Nürenebereg" oder "Köllen". Ihre Mutter hat damit die Sympathie der Nachbarschaft auf ihrer Seite und Hatice Akyün drapiert diese Unebenheiten mit einem Band der Freundschaft in Worte, verpackt es in von Herzen kommendem Geschenkpapier und überreicht es dem Zuhörer.

Welche Frau hat schon einen Vater, der immer, wenn es wichtig wird im Leben, zum Beispiel wenn es um die Verheiratung geht, mit der Tochter in seinen Wagen steigt und sie über traditionelle islamische Pflichten einer jungen Frau während der Autofahrt aufklärt? Nach 15-jähriger Moralpredigt hat Hatices Vater das Halfter an die Wand gehängt: sollte es bei der 20-jährigen Hatice noch der muslimische türkische Ehemann sein, war es mit 25 Jahren der Muslime, egal woher, mit 30 Jahren der nette Deutsche. Alle religiösen Lebensmaximen verschwammen mit steigendem Lebensalter der autobiografisch agierenden Hatice Akyün in einem Meer der vermischten Sitten und Gebräuche. Deutsch und Türkisch quer Beet, mal in Duisburg oder in Berlin aufgeführtes Familientheater, Hochzeiten, die an Personenvolumen dem Oktoberfest gleich kamen.

Hatice Akyüns Ehelosigkeit und Traditionsdenken heißt nicht: "Ich habe keinen Sex vor der Ehe, ich finde türkische Volksfesthochzeiten erstrebenswert oder ich ernähre meine sechs Monate alte Tochter mit einer Soße, die aus einer Plantage von Knoblauch hergestellt wurde."

Letztendlich schmerzten den 130 Zuhörern die Bäuche nicht von übertriebener türkischer Knoblauchwürze - allenfalls genossen sie den Nachhall des türkischen Deutsch, das die Ausnahmeautorin Hatice Akyün mit dem Verlassen überlieferter Pfade und Vorurteile ihrem Volk gegenüber ausräumend mit persönlicher Präsenz in Berleburg weitergab.

Von Christiane Weinhold


WESTFALENPOST (03.11.2008)
WP-Foto: Christiane Weinhold (cw)

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