Esmahan Aykol las aus Hirschel-Krimi

Zur Lesung saß sie auf einem Podest, für das Signieren wechselte Esmahan Aykol (links) aber sofort ins Publikum, wo die Zuhörer auf Tuchfühlung gingen. (SZ-Foto: Jens Gesper)

Eine Deutsche in Istanbul

Die dritte Lesung auf dem Literaturpflaster vermeldete ein volles Haus.

Bad Berleburg. (jg) Wann immer Esmahan Aykol bei ihrer Lesung am Dienstagabend auf dem Berleburger Literaturpflaster Beifall bekam, dann federte sie diesen – wie in mediterranen Ländern üblich – ab und klatschte selbst ein bisschen mit. Das wirkt bescheiden und sympathisch. Und so bekam auch niemand die Fakten in den falschen Hals, die sie ihren 80 Zuhörern in der vollbesetzten Schloss-Schänke anvertraute: In Deutschland verkaufe sie zwar zehnmal so viele Bücher wie in der Türkei, aber dort sei sie eine Bestseller-Autorin. Die Erklärung: "Türken lesen viel weniger als Deutsche." Dann könne Kati Hirschel, die Protagonistin der drei bisher erschienen Esmahan-Aykol-Krimis, als Krimi-Buchhändlerin in Istanbul wohl schlecht vom Job leben, vermutete eine der Zuhörerinnen, die schnell Eins und Eins zusammengezählt hatte. "Nein, die Mieten sind da niedrig", konterte die Schriftstellerin.

Obwohl die 1970 im türkischen Edirne geborene Esmahan Aykol erst seit neun Jahren auch in Deutschland lebt, antwortete sie ungeheuer schlagfertig auf die Fragen in der Diskussion nach ihrer gut dreiviertelstündigen Lesung. Dabei hatte sie aus ihrem neuesten Hirschel-Krimi "Scheidung auf Türkisch" gelesen. Kurios dabei schon die Figur der Hauptperson "Kati". Die Tochter deutscher Juden, die während des Zweiten Weltkriegs vor den Nazis nach Istanbul flüchteten. Sie wuchs in der Türkei auf, studierte in Deutschland und ging dann nach Istanbul. Eine Biographie, in der sich Abend- und Morgenland sowie Islam, Judentum und Christentum in den prima Krimis schön begegnen. Und zwar mit Witz und angenehmer, nicht verletzender Ironie und bestechender Kenntnis von Realität und Klischee. Etwa wenn Kati Hirschel sagt: "Ich bin aber keine Protestantin, die auf die Welt kommt, um ihren Körper zu disziplinieren."

Darum sei es ihr von Anfang an gegangen, über die kulturellen Unterschiede zu schreiben, erläuterte Esmahan Aykol in der Diskussion: "Ich wusste mit sechs Jahren, dass ich Schriftstellerin werde." Und während ihres dennoch absolvierten Jura-Studiums in der Türkei begegnete ihr der Name "Ernst Hirsch". Ein deutscher Jude, der 1933 in die Türkei emigrierte und erst in Istanbul, dann in Ankara an den juristischen Fakultäten lehrte und zahlreiche Standardlehrbücher veröffentlichte. Zunächst habe sie über eine Türkin in Berlin schreiben wollen, aber das gebe es schon so oft, deshalb schreibe sie nun über eine Deutsche in Istanbul. Autobiographisch sei die Figur überhaupt nicht, stattdessen sei der Charakter "Kati Hirschel" eine Mischung aus zwei Freundinnen.

Und die Schilderungen von Straßennamen, Cafés und Restaurants stimmen so genau, das man mit Hirschel-Krimis Istanbul erkunden kann. Ein ihrer deutschen Leser war sogar mal in Esmahan Aykols Stamm-Lokal "Kaktüs" und hatte dem Kellner dort seine Nummer hinterlassen. Sie habe aber nicht zurückgerufen. Ab November kann man Esmahan Aykol wieder regelmäßiger in Istanbul treffen, dann gibt sie ihre Berliner Wohnung auf. Mit Kati Hirschel gehe es aber weiter, sie habe schon eine Idee für den nächsten Roman.

Von Jens Gesper


Siegener Zeitung (23.10.2008)
SZ-Foto: Jens Gesper (jg)

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