Das Johannes-Althusius-Gymnasium
erweiterte sich das Literaturpflaster
selbst um einen weiteren Stein
"Übers Leben geht die Ehr"
Mit einer Türkin – und ihrem Wissen – im Deutsch-Kurs
lesen die Elftklässler eine Erzählung.
Bad Berleburg. (jg) Auf unterschiedlichste Weise nähern sich die Wittgensteiner schon seit Wochen und noch einige Tage übers Berleburger Literaturpflaster der Türkei. 15 Veranstaltungen vermerkt das grell-grüne Faltblatt, das es auch in der Berleburger Geschäftsstelle bei der Siegener Zeitung gibt. Doch manchen ist das noch nicht genug. Die Deutsch-Kurse der Jahrgangsstufe 11 des Johannes-Althusius-Gymnasiums haben sich noch einmal einen ganz eigenen Weg gewählt.
Sie haben nämlich Ferit Edgüs Erzählung "Die Geschichte von Ibrahim, Sohn des Ibrahim" gelesen und beschäftigen sich jetzt im Unterricht damit. Insgesamt sind es drei Kurse, die diese Geschichte auf dem Stundenplan stehen haben. Die dazu gehörenden Deutsch-Lehrer sind Traudel Stremmel, Rainer Bernhardt und Jessica Schüßler. Wobei das Trio auch noch von der JAG-Kollegin Christiane Biechele unterstützt wurde. Die Pädagogin hat nämlich drei Jahre lang an einer türkischen Schule in Izmir unterrichtet.
Auch der Deutsch-Kurs von Jessica Schüßler kann auf Wissen aus erster Hand zurückgreifen. Für Wittgensteiner Gymnasiums-Verhältnisse ist dieser Kurs nämlich quasi multikulti. Neben jeder Menge Wittgensteinern, den beiden amerikanischen Gastschülern Brett und Ben sowie einem in Kroatien geborenen Tomislav gibt es hier nämlich noch eine türkische Austauschschülerin: die 18-jährige Hazal. Das ist praktisch, denn sie kann ihren Mitschülern einiges erklären. Von komplexen Dingen, wie kulturellen Zusammenhängen hinter der Geschichte, bis hin zu einfacheren Sachen, wie der richtigen Aussprache von Wörtern wie Hoca. Hier muss man nämlich Hodscha sagen, nicht Hocker. Die Vokabel bezeichnet ganz allgemein einen Lehrer und außerdem im Speziellen einen islamischen Religionsgelehrten.
In der Geschichte geht es um einen Ehrenmord in Anatolien. Grund genug für Jessica Schüßler mit den Schülern über das Wort "Ehre" zu reden. Deshalb schrieb sie gleich mal an die Tafel: "Übers Leben geht die Ehr." Und wollte wissen, wer das gesagt haben könnte. Die Antwort musste sie sich aber selbst geben, weil Versuche mit feurig-finsteren Südländern allesamt nicht richtig waren. Die korrekte Antwort lautete wider Erwarten: Friedrich Schiller. Also, was verbindet man eigentlich mit dem Wort "Ehre" in unseren Breiten? Auch hier wurde Familie und Freundschaft genannt, Verhalten und Benehmen, Tomislav kannte auch noch: Helden. Das Wort war sonst keinem der zwei Dutzend Schüler eingefallen, vielleicht weil es in seinem Geburtsland noch vor 15 Jahren echten Krieg gab. Und Tomislav hatte noch einen anderen Satz mit Ehre: "Es ist eine Ehre, dass wir jetzt einen Gast haben."
Womit wir wieder bei Hazal wären. Sie fühlt sich in Deutschland gut: "Jeder ist so freundlich." Jessica Schüßler ist froh, dass sie in ihrem Unterricht immer wieder auf die Erfahrungen der 18-jährigen Türkin setzen kann. Insbesondere weit verbreiteten Klischee-Vorstellungen kann Hazal in den richtigen Maßstab rücken. Etwa, wenn sie den anderen Schülern erklärt, wie schwierig oder fast unmöglich es für türkische Mädchen ist, mit Kopftuch in die Schule oder zur Universität zu gehen.
Ohne Probleme war diese Unterrichts-Einheit in den Lehrplan einzupassen – und hier lernen die Schüler zweifelsohne etwas fürs echte Leben. Und deshalb werden sie wahrscheinlich ein bisschen mehr wissen als die anderen Schülern, die – genau wie sie – im Rahmen des Literataturpflasters in gut einer Woche noch einmal literarisch in die Türkei hineinschnuppern. Dann gibt es nämlich Schullesungen von Selim Özdogan, der dann sein Werk "Die Tochter des Schmieds" vorstellt.
Von Jens Gesper