Mit Selim Özdogans Lesung
endete ein überzeugendes Literaturpflaster
Deutscher Ausflug
in die Türkei
Bad Berleburg. (jg) Selim Özdogan hat nicht nur einen türkischen Namen – bei dem das "g" im Nachnamen lediglich deutsche Sprecher verwirren soll, ausgesprochen wird es nicht. Er hat auch ausschließlich einen türkischen Pass. Doch auch wenn er knapp vor der syrischen Grenze geboren wurde, plaudert er dennoch fließend Deutsch: Aufgewachsen ist er nämlich in Köln, wo der 37-Jährige heute noch lebt. Er schreibt auch seine Erzählungen und Romane auf Deutsch. Das verwirrt höchstens einmal die türkischen Organisatoren des Auftritts bei der Frankfurter Buchmesse. Dazu hatte man ihn eingeladen, zweimal wurde er aufgefordert, er möge endlich die Textstelle angeben, die er aus "Die Tochter des Schmieds" lesen wolle, damit man diese auf Deutsch übersetzen könne. Dabei war doch die türkische Version des Romans die Übersetzung des Originals. Dennoch war "Die Tochter des Schmieds" zweifelsohne fürs Berleburger Literaturpflaster qualifiziert. Schließlich zeichnet die Familienerzählung die Lebensgeschichte von Gül, der Tochter des Schmieds, in den 40er und 50er Jahren in der Türkei nach. In den Textstellen, die Selim Özdogan vorlas, ging es um eine Rauferei zwischen Gül und ihren Schwestern und den resultierenden Folgen im Kräfte-Vieleck "Familie". Danach ging es um den Tod einer Frau und die daraus entstehenden, gesellschaftlich vorgegebenen Geschehnissen.
Dass Selim Özdogan so ein überzeugendes Bild der Türkei aus der Zeit vor der Auswanderung nach Deutschland zeichnen kann, hängt damit zusammen, dass er in diesem Roman Geschichten weitergibt und verknüpft, die er seit Kindertagen von seinen Eltern gehört habe. Diese erzählt er in so einem blumigen und poetischen Deutsch, dass es eine wahre Wonne ist. Fernab vom türkischen Namen bewies Selim Özdogan auch mit weiteren Geschichten, die er vortrug, die Meisterschaft, mit der er stets den einen passenden Ton für seine Geschichten fand: mal hieß es "auf den letzten Drücker", mal sprach er von einem Gimpel – im richtigen Zusammenhang. Hier schönste Prosa, da ein gereimter Soft-Rap, den auch Xavier Naidoo singen könnte – und würde. Darüber hinaus zeichnete Selim Özdogan in seinen Texten schöne Bilder. Etwa für den Therapeuten , der möglicherweise eine Taschenlampe für die Seele seines Patienten habe. Oder für den hüfttiefen Schlamassel, den man Leben nenne, weil man kein besseres Wort dafür habe. Manchmal waren es auch kurze, einfache Sätze, unendlich treffend in ihrer Präzision: "Ich würde mich auch verlassen, wenn ich könnte."
Verlassen werden sich womöglich die Berleburger fühlen, denn mit Selim Özdogan endet das Literaturpflaster 2008. Es blieb nur ein Fazit: Auf den unterschiedlichsten Wegen hat sich die Veranstaltungsreihe der Türkei genähert und hier und da ein exotisches Land gezeigt. Was aber nichts daran ändert, dass es Türken wie Selim Özdogan gibt, die unbestreitbarer Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Und das ist gut so.
Von Jens Gesper