Hatice Akyün las beim "Literaturpflaster"
vor vollem Haus
Mal miteinander reden
Auf "Hans mit scharfer Sosse"
folgte "Ali zum Dessert".
Bad Berleburg. (jg) "Ist vielleicht mein Bruder? Der muss ja auf mich aufpassen!" – witzig und schlagfertig kommentierte Hatice Akyün am Freitagabend das Klingeln des Geschäftstelefons im Berleburger Sanitätshaus Kienzle. Die Lesungen zwischen flauschigen Bademänteln und schicker Unterwäsche, auf medizinischem Sitzgerät und vor einem sagenumwobenen Buffet – diesmal vom Berleburger Döner-Mann Taner Gelgec und seiner Familie – hat auf dem Literaturpflaster längst Kultstatus. Der und die Bestseller-Autorin sorgten dafür, dass mit 130 Zuhörern ein ausverkauftes Haus gemeldet werden konnte.
Kurz vorm Klingeln hatte die 39-Jährige dem Publikum erst einmal ihre Familie vorgestellt, mit Sätzen aus ihrem ersten Buch "Einmal Hans mit scharfer Soße". In hübsch erzählten und scharf beobachteten Episoden, die man sofort glauben mochte, weil sie schön waren, lernte man Vater, Mutter und ein paar der fünf Geschwister von Hatice Akyün aus dem Buch – das in Wikipedia halbbiographischer Roman genannt wird – kennen. Eben auch den Bruder, der sich für seine Schwester mal deren ersten Freund vorknöpfen sollte, nachdem dieser mit Hatice Schluss gemacht hatte. Mehmet schlug ihr damals allerdings vor, sie möge sich mit ihrem Ex doch selbst noch einmal vernünftig aussprechen. Nennen wir das – dem Klischee zuliebe – mal den pragmatischen deutschen Ansatz, der hier offenbar im türkischen Familienverbund in Duisburg gepflegt wurde. Und genau darum geht es in beiden Büchern. Ein Gastarbeiter-Ehepaar, das Ende der 60er, Anfang der 70er aus Zentral-Anatolien nach Deutschland geht, aber letztendlich hier nie richtig ankommt. Verwurzelt in einer völlig anderen Welt und auf Ewig hin- und hergerissen zwischen der Türkei und Deutschland. Und dann die Kinder-Generation, die ohne den Satelliten-Empfang türkischer Fernsehsender und in deutsch-türkischen Zechensiedlungen auf der Straße beim Spielen Deutsch lernte. Anders als die Eltern. Und so musste Bruder Mustafa der Mutter übersetzen, als Hatice Akyün am vergangenen Mittwoch zum ersten Mal in Duisburg las. Schreiben und Lesen kann die Mutter der Autorin übrigens auch nicht. Das habe ihr und ihren Geschwistern lange Verdruss bereitet, immer wieder hätten sie die Mutter auf dieses Thema angesprochen. Woraufhin diese stets ihre Trumpfkarte ausgespielt habe. Sie habe doch auch ohne gutes Deutsch, ohne Schreiben, ohne Lesen sechs Kinder großgezogen – und das sei doch wohl die Hauptsache. Ein gesundes Selbstbewusstsein, das wohl die wenigsten unter einem Kopftuch vermuten würden.
Genau so ein großes Selbstbewusstsein – natürlich ohne Kopftuch – hat übrigens die echte Hatice Akyün. Wenn auf der Buchmesse gefragt worden sei, wie sie es finde, mit dem Gastland "Türkei", dann habe sie geantwortet, sie sei gern Gastgeberin. Denn natürlich ist die Autorin Deutsche. Als jemand in Frankfurt zu ihr sagte, er habe ihren Präsidenten gesehen und den Türken Abdullah Gül meinte, habe sie gekontert: "Oh, der Herr Köhler ist da?" Hatice Akyün macht ihren Standpunkt klar. Bestimmt, aber witzig. Das sei ihr Weg – und genau dieser intelligente, warmherzige und humorvolle Witz macht ihre Bücher aus. Das erste genau wie dessen Nachfolger "Ali zum Dessert".
So kann sie einem großen Publikum Geschichten erzählen, die der normale Deutsche überhaupt nicht kennt, obwohl sie sich wahrscheinlich zigfach in seiner näheren und weiteren Umgebung zugetragen haben. Man müsste einfach nur mal miteinander reden. Dazu ermutigte Hatice Akyün ihre Zuhörer ausdrücklich.
Von Jens Gesper