Die Türkei in all ihren Farben

Hülya Özkan las in Bad Berleburg: Ihr Kommissar Özakin ist ein 'türkischer Kommissar für Deutsche'. (WR-Foto: Stefan Kascherus)

Hülya Özkan: Erste Literaturpflaster-Lesung 2008 in der
Bad Berleburger Polizeiwache

Bad Berleburg. (sk) Mit einem gesellschaftlich brisanten Roman eröffnete die erste Literaturpflaster-Lesung in diesem Jahr das wiederkehrende Stelldichein internationaler Buchautoren in Bad Berleburg. Thema dieses Mal: Die Türkei in all ihren Farben.

Wie schon im vergangenen Jahr war es ein Kriminalroman, den die Veranstaltergemeinschaft in der Bad Berleburger Polizeiwache mit der Autorin präsentierte. "In deiner Hand" von Hülya Özkan beschreibt eine Reihe von Kriminalfällen, die Istanbul erschüttern und den aus ihren beiden vorigen Krimis ("Mord am Bosporus" und "Istanbul sehen und sterben") bekannten Kommissar Özakin auf den Plan rufen.

Der "türkische Preuße", wie Özkan ihren Kommissar liebevoll dem zahlreich erschienen Publikum beschreibt, hat sich nicht nur mit einem Transvestitenmord im Ramadan, depressiven, unfähigen und einsamen Kollegen, sondern auch mit Kindesentführung, Bankraub und aufmüpfigen Privatdetektiven zu tun.

Mit schmunzelndem Augenzwinkern wirft Özkan, selbst Kind türkischer Gastarbeiter und heute Politredakteurin beim ZDF, einen Schulterblick auf ihre türkischen Wurzeln und setzt Vorurteile und Ahnungen pointiert in unerwartete, komische Resultate um. Kurzweilig und Umblickend gestaltet sich der Roman "In deiner Hand", dem trotz der heiklen Themen, die auch vor Tabus wie Travestie in der Türkei, Pressezensur und Selbstjustiz nicht halt machen, eher der Charakter eines Reiseführers in die dunklen Geheimnisse Istanbuls, als eines Kriminalromans steht.

Ihr kochender Kommissar, der ähnlich wie Donna Leons Brunetti den Leser mit nachahmbaren Kochrezepten beglückt, lässt trotz seiner Enttäuschung von der türkischen Gesellschaft keineswegs Brunettis Melancholie anklingen, sondern präsentiert sich lebensfroh und aktiv - sicherlich türkische Eigenschaften, doch streckenweise unglaubwürdig.

Özkan beschreibt das "moderne Istanbul", beschreibt einen 15-Millionen-Moloch mit Korruption, Prostitution und Laissez faire. Erschreckend daran: Reale Begebenheiten aus ihrer journalistischen Erfahrung hat die sowohl in Mainz, als auch in Istanbul wohnende Autorin in ihren Roman einfließen lassen.

Die teils detaillierte Recherche merkt der Leser, genauso, wie sich Mitgefühl für den zehnjährigen entführten Dennis, dessen Mutter Ariane im Alleingang mit Privatdetektiv Aslan "diskret und effektiv" aus der Türkei wieder holen will oder die Liebesbeziehung zwischen Aslan und Ariane aufbaut.

Dennoch kann weder die Emotionalität, noch der gesellschaftspolitische Witz des Buches echtes Gänsehautgefühl aufkommen lassen. Tradition und Moderne, Stolz und Vorurteil und der Spaß der Autorin an Täterpsychogrammen prägen das Buch außerdem. Wer also einen charmanten Reiseführer für Istanbul und türkische Mentalität mit etwas romantischem Kitsch und Rätselheftchenmorden sucht, ist mit "In deiner Hand" gut bedient.

Das Publikum in der Polizeiwache Bad Berleburg war jedenfalls begeistert.

Von Stefan Kascherus


Westfälische Rundschau (29.09.2008)
WR-Bild: Stefan Kascherus (sk)

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