Ernesto Mallo überraschte mit sehr persönlicher Lesung in der Odebornklinik

Ein nahezu magischer Abend
"Wie ich das überlebt habe? Ich denke,
mit ein wenig Intelligenz und sehr viel Glück."

Bad Berleburg. (vg) Das Publikum hielt den Atem an und lauschte gebannt. Denn der, der am Donnerstagabend bei gedämpftem Licht einer kleinen Schreibtischlampe mit rauchiger, tiefer und sehr eindringlicher Stimme in der Cafeteria der Bad Berleburger Odebornklinik las, war kein Geringerer als der preisgekrönte, argentinische Krimiautor Ernesto Mallo. Eigens für das Bad Berleburger Literaturpflaster hatte der bekannte Schriftsteller jetzt einen Abstecher von der Frankfurter Buchmesse in die Odebornstadt gemacht, um aus seinem Roman "Der Tote von der Plaza Once" zu lesen und dabei auch ein wenig über seine Schriftstellerei im Allgemeinen zu plaudern. Dass aus dieser Lesung aber gleich ein sehr persönlicher, ja, nahezu magischer Abend wurde, hätte sich der 62-jährige Gast aus Argentinien anfangs wohl auch nicht träumen lassen.

Genossen den literarischen Abend in Berleburg sichtlich: Daniela Kreher, Ernesto Mallo, Otto Marburger und Rikarde Riedesel (v. l.) in den Räumen der Odebornklinik. (SZ-Foto: Dr. Volker Gastreich)

Nachdem Rikarde Riedesel, Kustodin der Stadt Bad Berleburg und Organisatorin des Bad Berleburger Literaturpflasters, den Autor gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Kulturgemeinde Bad Berleburg, Otto Marburger, empfangen hatte, nahm die Lesung aus dessen Kriminalroman ein zahlreich erschienenes Publikum ganz für sich ein. Dabei spielten sich Ernesto Mallo mit Auszügen in argentinischem Spanisch und Otto Marburger mit der deutschen Übersetzung gekonnt Szene für Szene zu.

Schon fand sich das Publikum an der Seite des jungen Kommissars Lascano im Buenos Aires der letzten Militärdiktatur Argentiniens (1976 bis 1983) wieder und fieberte bei dessen spannenden Ermittlungen in einem äußerst brisanten Mordfall mit. Gemeinsam führten Ernesto Mallo und Otto Marburger die Zuhörer in die von soldatischen Einheiten und Panzern belagerten Straßen der Stadt. Gemeinsam schauten sie dem Haschisch rauchenden Gerichtsmediziner Fuseli bei einer schaurigen Obduktion dreier Leichen über die Schulter oder begleiteten den aufrichtigen Comisario Lascano in ein düsteres Luxusbordell.

Ernesto Mallo las dabei so gekonnt und fesselnd, dass man der Sprach- und Text-Kenntnis im Grunde kaum bedurfte, um der Handlung folgen zu können. So verlieh er beispielsweise der Fluchtszene, in der Eva, die Widerstandskämpferin und gleichzeitige Geliebte Lascanos, vor den Häschern der Militärjunta reißaus nimmt, allein über den Einsatz seiner Stimme große Lebendigkeit. Er stachelte die Spannung an, gönnte keine Atempause, jagte mit einer Vehemenz über die Zeilen hinweg, und seine dunkle Stimme und der rollende südamerikanische Akzent seiner Worte in argentinischem Spanisch entfachten wahre Spannungsbögen, so dass am Ende selbst Otto Marburger feststellte: "Das war wahre Musik, die gekonnt in den Roman einführte."

Im Anschluss an die Lesung bestand die Möglichkeit, mit dem Autor einmal näher ins Gespräch zu kommen. Daniela Kreher von der Stadtjugendpflege Bad Berleburg übersetzte dabei die Antworten des Theaterautors, Radioredakteurs und Übersetzers, fließend und mit großer Aufmerksamkeit ins Deutsche. Und das Publikum zeigte großes Interesse an jenem preisgekrönten Gast, der bereitwillig, nie um eine pointierte Spitze verlegen, über seine Schriftstellerei ins Plaudern geriet.

"Der Tote von der Plaza Once" sei zum Beispiel gar nicht der Original-Titel seines Romans, verriet er gleich zu Beginn. "Im Original heißt er nämlich: 'Die Nadel im Heuhaufen'." Der deutsche Titel sei wohl dem Hirn eines Marketing-Menschen entsprungen. "Und ich weiß wirklich nicht, wie er darauf gekommen ist", so Ernesto Mallo seufzend. Er selbst finde seinen eigenen Titel jedenfalls treffender. "Denn in meinem Roman geht es um einen Kommissar, der der einzig ehrliche Charakter in einem korrupten System ist." In diesem Sinne sei Lascano eben eine "Nadel im Heuhaufen". "Aber es gibt noch weitere Nadeln, die im Laufe der Handlung gefunden werden - beispielsweise die Widerstandkämpferin Eva." Wie er überhaupt dazu gekommen sei, diesen Roman zu schreiben? "Fast zufällig wie durch einen Unfall", übersetzte Daniela Kreher den Schriftsteller. Er sei damals mit dem Drehbuch für einen Kriminalfilm beschäftigt gewesen, verlor aber plötzlich seine Arbeit und entschloss sich endlich dazu, da er plötzlich sehr viel freie Zeit hatte, sein Drehbuch einfach zu einem Roman umzuschreiben. Dann sei die Geschichte auch noch gut angekommen - sie wurde bei der "Semana Negra" in Gijón, dem größten Festival für Kriminalliteratur, als bester Krimi ausgezeichnet und mit dem "Clarin-Literaturpreis" bedacht - und so habe er sich einfach dazu entschlossen, weitere Romane zu schreiben.

Der Vorteil des Romane-Schreibens liege übrigens in der Tatsache, "dass man sich nicht mit den Akteuren der Geschichte treffen muss". Er selbst habe nämlich mit Schauspielern so seine Probleme, gab er zu. "Und glauben Sie mir, wer einmal mit ihnen zusammengearbeitet hat, weiß, wovon ich rede." Was er mit seiner Geschichte beabsichtige? "Im Großen und Ganzen geht es mir nicht darum, die diktatorischen Verhältnisse jener Tage in der Geschichte anzuklagen und zu verurteilen", sagte er. "Es ist einfach ein Roman, der während der Diktatur spielt, sie also quasi als Landschaft, als Hintergrund, hat." Auf die Frage, wie er selbst überhaupt jene schlimme Zeit in seiner Heimat überlebt habe, wurde Ernesto Mallo plötzlich sehr nachdenklich und legte das Kinn in die Hände seiner aufgestützten Arme: "Wie ich das überlebt habe?", wiederholte er schließlich, "ich denke, mit ein wenig Intelligenz und sehr viel Glück." Die Militärjunta habe ihn nämlich auch verfolgt. "Aber ich konnte mich gut verstecken, denn ich ging eben dort hin, wo sie nicht mit mir rechneten: in die Stadtmitte, in ihre eigenen Häuser." Er kleidete sich wie sie, mit Hemd, Anzug und Krawatte, und lebte eine zweite Identität. "Und jetzt, da ich hier vor Ihnen in Bad Berleburg sitze, wird mir erst so richtig bewusst, dass ich im Grunde auch eine 'Nadel im Heuhaufen' war."

Und so erlebten Publikum und Autor noch einen äußerst erbaulichen Abend in den Räumen der Odebornklinik, in dem Ernesto Mallo über Schriftstellerei und Verfolgung, über Liebe und Argwohn, über die gute und böse Seite des menschlichen Wesens sprach und letztlich seine Zuhörer mit sehr privaten Schilderungen und emotionalen Worten fesselte.

Am Ende überreichte Otto Marburger dem Schriftsteller einen Literaturpflasterstein für seine außergewöhnliche Lesung. Auch Übersetzerin Daniela Kreher und Hildegard Kaiser, Mitarbeiterin der Odebornklinik, wurden mit einem Literaturpflasterstein bedacht. Er selbst nehme jetzt ungemein viel von dieser nahezu magischen Begegnung in Bad Berleburg mit, so Ernesto Mallo abschließend. Denn ein jedes solcher Zusammentreffen vor dem Hintergrund der Literatur sei im Grunde ein echtes "Rendezvous".

Von Dr. Volker Gastreich


Siegener Zeitung (02.10.2010)
Internet: www.siegener-zeitung.de
Bildquelle: SZ-Foto von Dr. Volker Gastreich (vg)

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